Äußerst unangenehme Fragen mußte sich gestern nachmittag, 17. 6., der Vertreter des österreichischen EU-Ratsvorsitzes, Dr. Wolfgang Feiel vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, in der Sitzung der Intergruppe „Gleiche Rechte für Lesben und Schwule“ des Europa-Parlaments in Straßburg gefallen lassen.
In Hinblick auf die bevorstehende Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich hatte die Intergruppe einen Vorsitz-Vertreter zu ihrer Sitzung eingeladen. Nichtzuletzt aufgrund der Ankündigung Österreichs, das Thema Menschenrechte zu einem Schwerpunkt seiner EU-Präsidentschaft zu machen, wollten die EuropaparlamentarierInnen aber auch wissen, wie es Österreich gerade selbst mit den Menschenrechten von Lesben und Schwulen hält.
Zweifel an Österreichs Eignung, Menschenrechte zu forcieren
Der schwedische Europa-Abgeordnete Ulf Holm (Grüne) wollte von Dr. Feiel in der gestrigen Sitzung dann nicht nur wissen, mit welcher Rechtfertigung Österreich das unterschiedliche Mindestalter für homosexuelle Beziehungen von 18 Jahren (§ 209 StGB) weiterhin aufrechterhält und wie viele Personen deswegen im Gefängnis sitzen, sondern forderte Österreich auf, den § 209 noch vor Beginn der Präsidentschaft abzuschaffen. Holm zweifelte auch an der Fähigkeit Österreichs, während seiner Präsidentschaft die Menschenrechte glaubwürdig forcieren zu können, speziell in Hinblick auf die Umsetzung der Antidiskriminierungsklausel im Amsterdamer Vertrag (Artikel 13 im konsolidierten EG-Vertrag), die ja vorsieht, daß der Rat auf Vorschlag der Kommission geeignete Maßnahmen setzt, um Diskriminierung u. a. aufgrund der sexuellen Orientierung zu bekämpfen. Zweifel, die Dr. Feiel bekräftigte, der meinte, es wäre nicht seriös, wenn die österreichische Präsidentschaft in diesem Zusammenhang Vorschläge einbrächte, für die es auf nationaler Ebene in Österreich keine Unterstützung gäbe.
Begnadigung und Freilassung aller 209er-Gefangenen gefordert
Kurt Krickler, der als Vorstandsvorsitzender des europäischen Lesben- und Schwulenverbands ILGA-Europa an der Sitzung der Intergruppe teilnahm, forderte Österreich auf, als Geste des guten Willens wenigstens alle nach § 209 menschenrechtswidrig inhaftierten Personen aus Anlaß der EU-Präsidentschaft zu begnadigen und unverzüglich freizulassen. Dr. Feiel betonte, eine solche Kompetenz käme nur dem österreichischen Bundespräsidenten zu, sagte aber zu, die Anregung nach Wien weiterzuleiten.
Appell an die ÖVP zur Abstimmung am 7. Juli 1998
In diesem Zusammenhang appelliert Christian Högl, Obmann der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien, an die ÖVP-Abgeordneten, ihren Widerstand gegen die Streichung des § 209 aufzugeben: „§ 209 ist nicht länger argumentierbar, Österreich blamiert sich damit in ganz Europa. Die ÖVP sollte einsehen, daß sie auf verlorenem Posten steht, und bei der geplanten nächsten Abstimmung im Nationalrat über § 209 am 7. Juli 1998 dessen Aufhebung ermöglichen. Seit der letzten Abstimmung über § 209 im November 1996 hat ja das Europa-Parlament bereits zweimal in Entschließungen Österreich ausdrücklich und namentlich aufgefordert, § 209 aufzuheben, und zwar im April 1997 und Februar 1998. Außerdem hat die Europäische Menschenrechtskommission des Europarats anläßlich einer Beschwerde gegen das Vereinigte Königreich im Vorjahr festgestellt, daß eine unterschiedliche Mindestaltersgrenze eine Verletzung des Artikels 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Das müßten eigentlich ausreichend Gründe für eine Haltungsänderung bei der ÖVP sein.“
Neue Resolution gegen Österreich vorbereitet
Für den Fall, daß § 209 am 7. Juli 1998 wieder nicht abgeschafft wird, hat ILGA-Europa bereits einen Entwurf für eine Resolution ausgearbeitet, mit der das Europa-Parlament Österreich abermals entschieden auffordern soll, sich den europäischen Menschenrechtsstandards anzupassen und die frühreren Entschließungen des EP nicht länger zu ignorieren.
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„Intergruppen“ sind thematische interfraktionelle Arbeitsgruppen des Europaparlaments, denen mindestens vier Fraktionen angehören müssen. Die Intergruppe „Gleiche Rechte für Schwule und Lesben“ wurde im Oktober 1997 gegründet. Ihr gehören die sozialdemokratische Fraktion, die Europäische Volkspartei, die Grünen sowie die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke an. Sie trifft sich einmal im Monat während der Plenarwoche in Straßburg.