"Haider ist der Führer eines homoerotischen Männerbunds": Die Autorin Elfriede Jelinek fühlt sich durch die Politik in Österreich gelähmt – Das Berliner Ensemble spielt im März ihren Roman “Lust”
Von Volker Oesterreich
Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek gehört zu den prominentesten Mitgliedern der künstlerischen Anti-Haider-Fraktion. Schon 1995 wurde sie auf einem FPÖ-Plakat angegriffen. Ihre Stücke will die 53-Jährige künftig nur noch im Ausland zeigen, insbesondere an Claus Peymanns Berliner Ensemble. Als Übernahme aus Wien wird dort am 4. März erstmals die Spielfassung ihres Romans "Lust" gezeigt.
Sie wollen keine Aufführungen Ihrer Stücke mehr in Österreich zulassen, so lange die Koalition mit der FPÖ hält. Bedeutet diese Isolation vom Kulturbetrieb nicht eine große Gefahr?
Elfriede Jelinek: Ich bin nie in meinem Leben für etwas so angegriffen worden wie für diese Ankündigung, die österreichischen Bühnen nicht mehr mit meinem Stücken zu beliefern, solange diese Koalition dauert. Ich habe auch präzisiert, dass es darum geht, dass literarische Sprache gegen diese neue forsche Sprache der feschen Gewinner keine Chance mehr hat, denn die simplifizierende Sprache der Stammtische wird immer wie eine Straßenwalze über Ironie – meine Methode – und differenzierte Spracharbeit drüberfahren. Dass meine Stücke aber hier nicht mehr aufgeführt werden sollen, bedeutet nicht, dass ich mich politisch zurückziehe. Ich werde immer für politische Aktionen nicht nur auf dem Theater zur Verfügung stehen, und auch für andere theatralische Aktionen, zum Beispiel im Frühjahr, wenn eine Absolventin der Ernst-Busch-Schauspielschule in Oberwart ´Stecken, Stab und Stanglª, auch mit Roma, inszenieren wird. Solche Dinge lasse ich selbstverständlich zu.
Aus Protest gegen Haider haben Sie schon einmal, 1996, ein Aufführungsverbot ausgesprochen. Dann haben Sie das hoch politische Stück "Steckn, Stab und Stangl" geschrieben, das dann doch für das Burgtheater zugelassen wurde. Wie wirkt sich der neue kulturpolitische Aufruhr auf Ihr Werk aus?
Elfriede Jelinek: Das neue politische Klima ist das alte, nur herrscht es jetzt sozusagen, früher war es noch versteckter. Jetzt haben diese Leute sich endgültig durchgesetzt mit ihrem Kunstverständnis – "Kunst ist Privatsache". Mich fordert das nicht heraus, denn ich habe es lange kommen sehen, es ist alles nur schlimmer geworden. Ich und meine KollegInnen haben da nichts bewirken können. Eigentlich lähmt es mich eher, weil es eben schon so lange dauert und immer nur schlimmer wird.
Ihr "Sportstück" von 1998 beschäftigt sich mit einem Massenphänomen. Sehen Sie Parallelen zu gegenwärtigen Verhältnissen?
Elfriede Jelinek: Das "Sportstück" habe ich schon im Hinblick auf das sich Abzeichnende geschrieben: die Verachtung künstlerischer und intellektueller Leistung und die Vergötzung des Gesunden, Jungen, Sportlichen, Starken. Das Schwache, Fremde, das, was "nicht zu uns gehört", wird ausgegrenzt oder vertrieben. Nicht zufällig hat Haider ja einen ehemaligen Olympia-Abfahrtssieger ins Parlament geholt. Er arbeitet, wie alle faschistoiden Bewegungen, mit dem ästhetischen Körperkult, mit dem homoerotischen Männerbund, der sich im Sport manifestiert, es ist sozusagen der erlaubte sexuelle Akt mit dem braungebrannten jungen – er ist so alt wie ich! – "Führer", der huldvoll seine Gunst gewährt.
Als Übernahme aus Wien wird die Spielfassung Ihres 1989 erschienenen Romans "Lust" am BE gezeigt.
Elfriede Jelinek: Das ist bis heute eins meiner Lieblingsbücher. Es ist ein Text über die Sprache der Pornographie, die männlich ist, eine weibliche Sprache der Pornographie existiert nicht. Ich habe versucht, die männliche Sprache der Pornographie zu denunzieren. Letztlich geht es um die sprachliche Erfassung sexueller Verhältnisse, die bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen eben immer ein Herr-Knecht- bzw. Herr-Magd-Verhältnis sind.
Vereinfacht ausgedrückt, lautet die Gleichung von "Lust" und anderer Ihrer Werke Sexualität = Gewalt. Belegt Haider als Prototyp eines Machos genau diese These?
Elfriede Jelinek: Na, so einfach ist es nicht. Herr-Knecht-Verhältnisse sind in ihrer äußersten Zuspitzung Gewaltverhältnisse, Gewalt kann sich ja auch still äußern, ohne Gebrüll oder Schläge. Außerdem ist Haider kein Macho, er wird auch nicht so empfunden. Frauen sind weder seine Wählerinnen, noch sind Frauen seine bevorzugten Kandidatinnen, mit wenigen Ausnahmen. Er ist der Führer eines homoerotischen Männerbunds und arbeitet bewusst mit homophilen Codes, natürlich ohne sich wirklich als homosexuell zu bekennen. Er lässt sich auf Nacktfotos veröffentlichen, und er spielt mit seiner sexuellen Ambivalenz. Ich glaube, dass das Phänomen Haider nicht zuletzt ein erotisches ist, denn er kann Mann und Frau zugleich sein, das gibt ihm das Schillernde, das die Massen "einfängt". Mit Hitler war es ähnlich, Heidegger hat von seinen schönen Händen und blauen Augen geschwärmt, obwohl man sich das heute kaum vorstellen kann.
Das BE ist künftig für Sie erste Wahl für Uraufführungen. Was versprechen Sie sich davon?
Elfriede Jelinek: Ich verspreche mir gar nichts davon als interessante Aufführungen, hoffentlich, die besonnen und analytisch rezipiert werden, nicht hysterisch und emotional aufgeheizt. Ich werde im übrigen sicher auch Frank Baumbauer, der demnächst an die Münchner Kammerspiele geht und sehr schöne Aufführungen ermöglicht hat, was zukommen lassen.
Arbeiten Sie an einem konkreten Projekt für das BE?
Elfriede Jelinek: Das erste Projekt am BE wird mein Stück "Macht nichts. Eine kleine Trilogie des Todes" sein, Ende 2000 oder Anfang 2001.
Interview in der "Berliner Morgenpost"
Sonntag, 27. Februar 2000
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