Schwere Vorwürfe erhebt die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien gegen den VfGH wegen dessen vorige Woche veröffentlichten Urteils in der Beschwerde des US-Staatsbürgers Lon Williams betreffend die Nichtanerkennung seiner in den Niederlanden mit einem Deutschen geschlossenen Ehe. Der Deutsche konnte eine Anstellung bei einer internationalen Organisation in Wien nicht annehmen, weil Williams keine Niederlassungsbewilligung erhielt.
Beiden wurde daher ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union EU-rechtswidrig vorenthalten. Der VfGH sieht indes in dieser Nichtanerkennung keine Verfassungs- oder Menschenrechtswidrigkeit und weigert sich zudem – ebenfalls EU-rechtswidrig –, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in Luxemburg zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Beschämendes Urteil
„Das Urteil ist beschämend und eines Höchstgerichts unwürdig“, erklärt dazu HOSI-Wien-Obfrau Bettina Nemeth. „Zum einen beleidigt der Gerichtshof in seinem Urteil auf unerträgliche Weise den Beschwerdeführer und seinen Ehegatten, indem er deren Ehe ständig als ‚andere Art von Beziehung‘ bezeichnet und vorgibt, der Beschwerdeführer wolle deren Gleichstellung mit einer Ehe, und dabei konsequent ignoriert, dass die beiden ja verheiratet sind und bereits die gleiche Heiratsurkunde wie jedes verschiedengeschlechtliche Ehepaar in Holland haben. Zum anderen sind die einzelnen Begründungen des VfGH teils fadenscheinig, teils schlicht falsch bzw. nicht auf dem aktuellen Stand des EU-Rechts, teils widersprüchlich und vor allem vollkommen willkürlich, wie leicht nachzuweisen war.“
„Wir haben in einer ausführlichen und leicht nachvollziehbaren Kritik die einzelnen Passagen des Urteils gleichsam in der Luft zerrissen (siehe unten). Es ist wirklich eine Schande, dass der VfGH ein derartig schlampiges Urteil zu erlassen wagt. Aber die offensichtliche Homophobie in der Richterschaft scheint zur Folge zu haben, dass das Gericht seine Verantwortung als Hüter der Menschenrechte vergisst, wenn ein Schwuler der Beschwerdeführer ist“, ergänzt HOSI-Wien-Obmann Christian Högl. „Auch beim § 209 StGB hat der VfGH mehrfach seine homophobe Flagge gezeigt und letztlich erst dann, als er nicht mehr anders konnte, diese Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben. Auch damals hat sich gezeigt, dass der VfGH sich nicht der Gerechtigkeit und den Menschenrechten verpflichtet fühlt, sondern bereit ist, jedes noch so lächerliche legalistische und formalistische Mätzchen auszuspielen, um Lesben und Schwulen ihre Gleichstellung und Gleichberechtigung möglichst lange vorzuenthalten. Offenbar denken die VerfassungsrichterInnen in ihrer Allmacht, sie seien sakrosankt, weil es gegen ihre Rechtsbeugung keine innerstaatliche Handhabe mehr gibt. Wobei sie in diesem Fall dem Beschwerdeführer sogar noch den Weg zu der zuständigen europäischen Instanz abgeschnitten haben.“
Sackgasse Österreich
„Dieses Manöver“, so Nemeth weiter, „halten wir für besonders perfid und verwerflich, denn wir Lesben und Schwule sind auf den Gang nach Straßburg bzw. nach Luxemburg angewiesen. Wie sich hier einmal mehr zeigt, ist Österreich in Sachen Menschenrechte für Lesben und Schwule kein Rechtsstaat. Wir fordern daher den Verwaltungsgerichtshof, an den die Causa zur weiteren Entscheidung abgetreten worden ist, auf, die aufgeworfenen EU-rechtlichen Fragen dem EuGH vorzulegen. Wir werden die Sache auch ans Europäische Parlament und die neue EU-Kommission herantragen. Und sollte das alles nichts fruchten, wird man letztlich wohl die niederländische Regierung dazu bringen müssen, Österreich vor dem EuGH zu verklagen.“
„Wir appellieren auch an die Opposition“, so Högl abschließend, „die Urteile des VfGH nicht als sakrosankt zu betrachten, sondern kritisch zu beurteilen. Auch wenn man sich mit Urteilsschelte am VfGH in schlechter Gesellschaft – Haider, Strasser – befindet, muss Recht Recht bleiben. Ausländische Bürger, deren Rechte als EU-Bürger bzw. als deren Familienangehörige von Österreich heute massiv verletzt worden sind, auf die Zeit nach der Einführung entsprechender Rechtsinstitute in Österreich zu vertrösten stellt eine Verhöhnung dieser Menschen und eine Kapitulation vor der Willkür der Höchstgerichte dar.“
Jedenfalls wird sich auch Lon Williams von der willkürlichen, homophoben und unsachlichen Entscheidung des VfGH nicht entmutigen lassen. Er erklärt dazu: „The decision of the VFGH is fundamentally flawed, and I am irreversibly opposed to every argument because the reasoning behind each finding is discriminatory even in the most primitive sense. With that I must reiterate that I am married, and, therefore, the freedom of movement, as provided by EU law, does come into play. My basic human rights have been arbitrarily denied, and my civil status has been deliberately ignored. Hence, I am determined to challenge every single legal statement from this decision no matter how long it takes, and I will not discontinue my legal proceedings until every question is clarified.“
HINWEIS: Nähere Details und Umstände des Falls finden sich in den drei Presseaussendungen der HOSI Wien zu dem Fall vom:
23. August 2004
26. August 2004 und
15. Oktober 2004.