„Die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien weist die Reaktionen von ÖVP und FPÖ auf die gestrige Verabschiedung des EU-Menschenrechtsberichts 1995, in dem Österreich wegen des diskriminierenden Mindestalters für schwule Beziehungen (§ 209 StGB) verurteilt wurde, entschieden zurück“, erklärt ihr Generalsekretär Kurt Krickler, der die Debatte gestern vor Ort im Straßburger Parlament mitverfolgt hat.
„Wir fordern vielmehr beide Parteien auf, zur Umsetzung dieser Forderung raschest beizutragen, damit Österreich in dieser Frage europareif wird und nächstes Jahr nicht neuerlich im EU-Menschenrechtsbericht negativ auffällt. Wenn 350 Millionen EU-BürgerInnen ohne ein derartiges Gesetz auskommen, werden es die acht Millionen ÖsterreicherInnen auch können. Nicht Europa irrt, sondern ÖVP und FPÖ sind mit ihren völlig unhaltbaren Ansichten im Irrtum!“
Claudia Roth weist FPÖ-Kritik scharf zurück
Das zeigte sich bereits im Vorfeld der Berichterstellung, als der ÖVP-Abgeordnete zum EP Hubert Pirker mit seinen Bemühungen, die entsprechende Textstelle gegen § 209 im Punkt 146 des Berichts zu streichen, abblitzte. Auch der Hinweis des FPÖ-Abgeordneten Gerhard Hager in der gestrigen EP-Plenardebatte, diese Aufforderung an Österreich sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten und verstoße gegen das Subsidiaritätsprinzip in der EU, wurde von der Berichterstatterin Claudia Roth (Grüne/Deutschland) in ihrer gestrigen Pressekonferenz nach der Verabschiedung des Berichts aufs schärfste zurückgewiesen. Bei den Menschenrechten kann es keine Subsidiarität geben, meinte sie.
Die getrennte und namentliche Abstimmung über Punkt 146 des Berichts fiel mit 221 Pro- gegen 174 Gegenstimmen bei fünf Enthaltungen überdies ziemlich eindeutig aus, sogar drei Abgeordnete der Fraktion der Europäischen Volkspartei stimmten für den Appell. Zum Vergleich: Der Gesamtbericht wurde aufgrund von 66 Enthaltungen nur knapp mit 174 gegen 166 Stimmen angenommen.
ÖVP unglaubwürdig
„Wenn die ÖVP ihr nicht genehme EP-Resolutionen weiterhin ignoriert und meint, sich nur die Rosinen herauspicken zu können, macht sie sich und ihre Europapolitik unglaubwürdig. Wir erinnern uns noch genau daran, wie im Wahlkampf zur EP-Direktwahl die ÖVP-Spitzenkandidatin Ursula Stenzel die Bedeutung des Europäischen Parlaments nicht hoch genug würdigen konnte. Wenn die ÖVP die demokratischen Entscheidungen des EP jetzt nonchalant wegwischen will, dann tut sich hier für sie ein großes Glaubwürdigkeitsproblem auf“, kritisiert Krickler, der auch betont, daß es sich bei dem diplomatisch formulierten „dringenden Ersuchen“ in Wahrheit schon um eine „Verurteilung“ handelt.
„Die HOSI Wien ruft jedenfalls die verantwortlichen ÖVP-Politiker, allen voran Parteiobmann und Vizekanzler Wolfgang Schüssel und Klubobmann Andreas Khol, aber auch EP-Abgeordnete Ursula Stenzel dringend auf, von ihrem sturen Justament-Standpunkt abzurücken und Österreich im nächsten Jahr eine ähnliche peinliche Blamage und Anprangerung zu ersparen und bis dahin gemeinsam mit den 91 Ampelstimmen im Nationalrat den § 209 StGB aufzuheben“, meint Krickler, der zur Zeit auch Vorsitzender des Europäischen Dachverbands von Lesben- und Schwulenorganisationen ILGA-Europe (Anm.: ILGA steht für „International Lesbian and Gay Association“) ist, abschließend.