Schwere Vorwürfe erhebt die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien gegen RichterInnen am Bezirksgericht Wien-Donaustadt: Durch deren unglaubliche Schlamperei und Inkompetenz wurde das vermutlich wichtigste Archiv zur österreichischen Homosexuellengeschichte der 1960er bis 1980er Jahre vernichtet.
„Dieses Archiv befand sich in der Wohnung von Franz Xaver Gugg, einem Pionier der österreichischen Homosexuellenbewegung“, berichtet Bettina Nemeth, Obfrau der HOSI Wien. „Nach Guggs Tod vor über drei Jahren wurde der Wohnungsinhalt zwangsgeräumt und danach unwiederbringlich veräußert bzw. vernichtet, weil der zuständige Richter den Beschluss, den Wohnungsinhalt in einem Depot zu lagern, nicht nur viel zu spät ausfertigte, sondern irrtümlich auch noch zwei Verlassenschaftskuratoren zur Abwicklung der Verlassenschaft bestellte. Bis das vom Richter angerichtete Chaos wieder beseitigt wurde, war die Wohnung geräumt und das Archiv vernichtet.“
Notarin und Richter völlig überfordert
„Diese unfassbare Schlamperei spielte sich unter den Augen einer offenkundig heillos überforderten Notarin ab, die als Gerichtskommissärin mit der Verlassenschaftssache betraut worden ist. Jetzt will niemand die Verantwortung für diese Katastrophe übernehmen, und jeder putzt sich am anderen ab“, ergänzt Christian Högl, Obmann der HOSI Wien, die von Gugg testamentarisch gemeinsam mit dessen leiblichen Sohn zu gleichen Teilen als Erbin eingesetzt worden ist. „Außerdem ist davon auszugehen, dass sich das Originaltestament unter den zwangsgeräumten und nunmehr weggeworfenen bzw. vernichteten Unterlagen befunden hatte. Da wir nur über Testamentskopien verfügen, müssen wir als die testamentarisch eingesetzten Erben jetzt auch noch einen zivilrechtlichen Erbstreit mit den gesetzlichen Erben führen – entfernten Verwandten des Verstorbenen, die ihn nicht einmal persönlich gekannt haben. Und von der Notarin und dem Verlassenschaftskurator gibt’s dazu statt einer Entschuldigung oder eines Wortes des Bedauerns bloß Honoraransprüche in der Höhe von fast € 19.000,– für diese letztklassige Abhandlung der Verlassenschaft!“
Über die Hintergründe dieses Falls berichtet auch ausführlich die aktuelle Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil: Gugg wurde 1969, zu Zeiten des Totalverbots, wegen seiner Homosexualität zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er verlor dadurch nicht nur seinen akademischen Grad, sondern auch die bürgerlichen Rechte und sein Anwaltspatent. Nach Aufhebung des Totalverbots 1971 musste Gugg sich Doktortitel, Wahlrecht und Rechtsanwaltszulassung wieder mühsam erkämpfen – in letzterem Fall dafür sogar bis vor den Verfassungsgerichtshof ziehen. „Es ist wirklich eine besondere Tragik, dass Gugg selbst nach seinem Tod noch soviel Unrecht widerfährt und jetzt durch Schlamperei und Unfähigkeit auch noch sein Nachlass vernichtet wurde“, so Högl.
Weitere Informationen über das Leben von Franz Xaver Gugg hier zum Download (Beitrag aus den LAMBDA-Nachrichten # 3/2002) sowie über den Justizskandal um seinen Nachlass hier (LAMBDA-Nachrichten # 1/2007).
Konsequenzen gefordert
„Dieser ungeheuerliche Justizskandal muss auch Konsequenzen haben“, fordert HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler. „Derart unfähige Richter müssen aus der Justiz entfernt werden, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können. Österreich ist ja hoffentlich keine Bananenrepublik, in der wegen der Schlamperei inkompetenter Richter nach einem Todesfall ganze Nachlässe ungestraft vernichtet werden können. Der/Die neue Justizminister/in hat hier gleich eine vorrangige Aufgabe und sollte nach der Angelobung schleunigst dafür sorgen, dass dieser offenkundige Saustall am Bezirksgericht Donaustadt ausgemistet wird.“