Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs


Antidiskriminierungsgesetz

Die Schaffung eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) zählt zu den wichtigsten politischen Zielen, für deren Verwirklichung die HOSI Wien aktiv eintritt und kämpft (vgl. Ziele & Erfolge). Seit 1995 steht dieses Ziel ganz oben auf unserer Tagesordnung. Einen wichtigen Teilerfolg konnten wir 2004 erzielen (eine Übersicht über unsere bisherigen diesbezüglichen Aktivitäten findet sich hier in dieser ausführlichen Chronologie):

Neue Ära für Österreichs Lesben und Schwule durch EU-Richtlinie

Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie 2000/78/EG „zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ in nationales Recht (Gleichbehandlungsgesetz und Bundesgleichbehandlungsgesetz, entsprechende Novellen traten am 1. Juli 2004 in Kraft) wurden Bestimmungen geschaffen, die Diskriminierung in der Arbeitswelt ahnden und mit Sanktionen belegen. Die Gesetze verbieten jegliche Diskriminierung u. a. aufgrund der sexuellen Orientierung in Beschäftigung und Beruf (vgl. Aussendung vom 28. Mai 2004).

Das Diskriminierungsverbot umfasst direkte und indirekte Diskriminierung sowie Belästigung/Mobbing. Es gilt für den privaten und öffentlichen Sektor, für alle Arten der Beschäftigung, ob unselbständig oder selbständig, unbefristet oder befristet etc. Das Verbot betrifft sämtliche Arbeitsbedingungen, einschließlich Einstellung, Fortbildung, Umschulung, Beförderung, Kündigung, Entgelt usw. sowie die Stellenausschreibung. Die Gesetze sehen ferner eine Beweislasterleichterung für das Opfer vor, ebenso Schadenersatzansprüche, Rechtsschutz sowie ein Benachteiligungsverbot. Dieses bedeutet, dass Opfer, die sich etwa mittels Klage wehren, sowie ZeugInnen, die in Verfahren aussagen, vor Repressalien (etwa Entlassung) durch den beklagten Arbeitgeber geschützt sind.

Zu den nun geltenden Rechten gehören sämtliche arbeitsrechtlichen Ansprüche, die ArbeitnehmerInnen bzw. deren verschiedengeschlechtlichen LebensgefährtInnen gewährt werden, z. B. die Pflegefreistellung bzw. Hospizkarenz für die Betreuung kranker bzw. sterbender LebensgefährtInnen. Die Mitversicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Sozialversicherung fällt ebenfalls darunter, nicht zuletzt auch aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Beschwerde Karner gegen Österreich. Auch sämtliche freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen, die als Teil des Entgelts zu werten sind und auf die heterosexuelle LebensgefährtInnen Anspruch haben, müssen nun auch gleichgeschlechtlichen LebensgefährtInnen gewährt werden, also etwa Freifahrten, Freiflüge, Rabatte für Einkäufe im Unternehmen, freie bzw. ermäßigte Mitbenutzung betrieblicher Einrichtungen oder etwa die ermäßigten Kontoführungskosten, in deren Genuß die LebensgefährtInnen von Bankangestellten bei den meisten Geldinstituten kommen. Hier gibt es eine Fülle möglicher Ansprüche.

Siehe dazu auch den Beitrag über die EU-Kampagne „Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung“.

Besagte Richtlinie ist die erste, sexuelle Orientierung miteinschließende Maßnahme, die von der EU auf Basis des Artikels 13 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrags getroffen wurde. Eine höchst informative Broschüre über Artikel 13 hat der europäische Lesben- und Schwulenverband (mit Unterstützung u. a. durch die HOSI Wien) veröffentlicht. Die gedruckte deutsche Fassung dieses Leitfadens Nach Amsterdam: Sexuelle Orientierung und die Europäische Union (Hg. Kurt Krickler) ist leider vergriffen, die elektronische Version kann aber hier heruntergeladen werden.

Die HOSI Wien war im Übrigen die einzige österreichische Lesben- und Schwulenorganisation, die seinerzeit für die Aufnahme von „sexueller Orientierung“ als schutzwürdige Kategorie in den Artikel 13 EGV Lobbying betrieben hat – und das ziemlich massiv – detaillierte Hintergrundinformationen dazu hier.

In Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Richtlinie gründeten NGOs aus den verschiedenen Bereichen (Anti-Rassismus, Behinderung etc.), darunter die HOSI Wien, im Juni 2004 den Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern.

Juli 2008: EU-Kommission legt neuen Richtlinienentwurf vor

Am 2. Juli 2008 präsentierte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine „Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ – Dokument KOM(2008) 426. Damit soll der Diskriminierungsschutz für die darin angeführten Gründe jenem Niveau angeglichen werden, das mit der Antirassismus-Richtlinie 43/2000 für das Merkmal ethnische Herkunft geschaffen worden ist. Die HOSI Wien begrüßte den Vorschlag in einer Aussendung. Dieser muss allerdings von allen 27 Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden.

Zwei Tage vor der Präsentation des neuen Richtlinienentwurfs hat die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) in Wien einen ersten ausführlichen Bericht über „Homophobia and Discrimination on Grounds of Sexual Orientation in the EU Member States (Part I – Legal Analysis)“ veröffentlicht.

Hier stehen zum Download bereit:
Der ausführliche Bericht
Eine deutsche Zusammenfassung
Der Länderbericht von Manfred Nowak (Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte) über Österreich

NGO-Entwurf für ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz

Der Diskrimininierungsschutz in der Arbeitswelt ist also nur ein erster Schritt. Die HOSI Wien wird weiterhin für die Schaffung eines umfassenden AD-Gesetzes eintreten. Von 1998 bis 2001 beteiligte sie sich bereits an der Erarbeitung eines Entwurfs für ein solches umfassendes ADG. Dieses Projekt ging auf eine Initiative anlässlich des Menschenrechtsjahres 1998 zurück. Sechs Organisationen hatten damals gemeinsam um Förderung beim Bundeskanzleramt eingereicht: das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM), die Initiative Minderheiten, SLIÖ (Selbstbestimmt Leben Initiative Österreich), SOS Mitmensch, Helping Hands und die HOSI Wien. Das BIM übernahm die Projektdurchführung, bei der später auch der Wiener Integrationsfonds kooperierte. Die HOSI Wien hat als einzige österreichische Lesben- und Schwulenorganisation kontinuierlich und ständig an den zahlreichen Besprechungen und Treffen der involvierten NGO-Szene im Zuge der Vorbereitung und Ausarbeitung des Entwurfs teilgenommen. Dieses Projekt ist ein Beispiel guter Praxis, wie NGOs aus unterschiedlichen Bereichen erfolgreich und zielorientiert zusammenarbeiten können. 2000 wurde das Projekt übrigens mit dem 10. Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte ausgezeichnet.

Am 12. März 2001 wurde der fertige Entwurf, der federführend von Dieter Schindlauer am LBI für Menschenrechte ausgearbeitet wurde, bei einer Veranstaltung im Wiener Juridicum der Öffentlichkeit vorgestellt. Bei dieser Präsentation nahm Generalsekretär Kurt Krickler im Namen der HOSI Wien als einer von mehreren NGO-VertreterInnen dazu Stellung. Der Entwurf wurde später dem Nationalrat zugeleitet, aber seine Erörterung von der schwarz-blauen Mehrheit im Parlament verhindert.

Das bringt ein Antidiskriminierungsgesetz

Da in der lesbisch/schwulen Gemeinschaft mitunter falsche Vorstellungen darüber bestehen, was ein ADG leisten kann, muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass es in erster Linie ein Gesetz zur Abwehr konkreter Diskriminierung ist und keinesfalls ein Allheilmittel gegen jegliche gesetzliche Ungleichbehandlung. Beispielsweise könnte durch ein ADG nicht die Lesben- und Schwulenehe – quasi durch die Hintertür – eingeführt werden. Dazu bedarf es zusätzlicher gesetzlicher Maßnahmen. Ein ADG ist dazu da, dass man sich z. B. dagegen wehren kann, wenn einem wegen der sexuellen Orientierung der Zutritt zu Veranstaltungen oder der Zugang zu bestimmten Dienstleistungen und Waren verwehrt wird (etwa Partnertarife bei allen möglichen Mitgliedschaften, wenn diese etwa verschiedengeschlechtlichen unverheirateten Paaren gewährt werden). Das ADG wird also weiteres Lobbying für die Eingetragene PartnerInnenschaft nicht ersetzen können.

Mitunter ist auch zu hören, ein Diskriminierungsverbot in der Verfassung könnte ein ADG viel wirksamer ersetzen. Auch das trifft nicht zu: Eine Verfassungsbestimmung würde nur staatliche Akteure binden, nicht aber Privatpersonen, also Arbeitgeber oder Anbieter von Waren und Dienstleistungen. Außerdem kann eine Verfassungsbestimmung nicht auf die im ADG vorgesehenen Aspekte wie Schadenersatz, Beweislastverschiebung, Schlichtungsstelle usw. eingehen. Wir müssen also für all diese Dinge gleichzeitig eintreten und kämpfen: für ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz, ein Diskriminierungsverbot in der Verfassung und die Schaffung der Eingetragenen PartnerInnenschaft. Keines dieser Dinge kann ein anderes ersetzen.

Anlässlich der Fertigstellung des Entwurfs für ein österreichisches ADG hat übrigens die Stimme von und für Minderheiten, die Zeitschrift der Initiative Minderheiten, ihre letzte Ausgabe im Jahr 2000 (# 37) dem Thema „Antidiskriminierung in Österreich“ gewidmet. Kurt Krickler verfasste dafür einen Beitrag über die Bedeutung des ADG aus lesbisch/schwuler Sicht.

Für die im Frühling 2001 erschienene Ausgabe des Periodikums Teaching Human Rights – Informationen zur Menschenrechtsbildung, das von der Servicestelle für Menschenrechtsbildung, einer gemeinsamen Initiative der Abteilung „Politische Bildung“ des Unterrichtsministeriums und des LBI für Menschenrechte, vierteljährlich herausgegeben wird, hat Kurt Krickler auch einen Beitrag über „sexuelle Orientierung im internationalen Menschenrechts-Schutzsystem“ verfasst. Schwerpunkt der Ausgabe ist: „Europa und Menschenrechte“.

Die HOSI Wien hat auch eine ausführliche und umfassende Übersicht über die Antidiskriminierungs-Gesetzgebung in Europa zusammengestellt. Das entsprechende Pink Paper steht hier zum Download bereit. Dieses Pink Paper (Stand März 2002) wird aber nicht mehr aktualisiert, da besagte EU-Richtlinie in allen 27 EU-Staaten bereits gilt. Manche Staaten haben den Anwendungsbereich ihrer Antidiskriminierungsbestimmungen über den Bereich der Arbeitswelt hinaus erweitert. Konkrete Anfragen dazu können an die HOSI Wien gerichtet werden: .

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