Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs


ÖVP-Abgeordneter klagt HOSI-Wien-Aktivisten

Nach fünf Jahren gemeinsamer Koalition wird die ÖVP der FPÖ bzw. dem BZÖ immer ähnlicher: Jetzt hat auch die ÖVP damit begonnen, unliebsame Kritiker mit Klagen und Gerichtsverfahren einzuschüchtern – eine Methode, die bisher die FPÖ systematisch angewendet hat, wofür sie 2000 von den drei EU-Weisen scharf kritisiert wurde.

Nun hat ÖVP-Abgeordneter Walter Tancsits die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien, ihren Obmann Christian Högl und ihren Generalsekretär Kurt Krickler sowohl zivilrechtlich (Unterlassung, Widerruf, Veröffentlichung des Widerrufs) als auch strafrechtlich (üble Nachrede und Beleidigung gemäß § 111 bzw. § 115 StGB – Höchststrafe bis zu einem Jahr Gefängnis!) geklagt. Mehr über den rechtlichen Hintergrund unter Die Klagen.

Anlass war die Medienaussendung der HOSI Wien vom 4. März 2005. Darin hat die HOSI Wien die Haltung der ÖVP kritisiert, den wegen ihrer Homosexualität verfolgten NS-Opfern einen Rechtsanspruch auf Anerkennung, Rehabilitierung und Entschädigung nach dem Opferfürsorgegesetz zu verweigern. Mehr über die nicht erfolgte Aufnahme homosexueller NS-Opfer ins OFG unter Hintergrund.

Tancsits gibt nun in seinen Klagen vor, durch diese Aussendung beleidigt und in seiner Ehre verletzt worden zu sein, und zwar wegen des Vorwurfs, „nationalsozialistisches Gedankengut zu vertreten“ (den die HOSI Wien indes nur gegen die ÖVP allgemein, nicht jedoch gegen ihn persönlich erhoben hat) und der Schlussfolgerung, „geistiger Nachfahre der braunen Nazi-Schergen“ zu sein.

Es ist wohl kaum glaubhaft, dass sich ein Abgeordneter durch eine solche, im politischen Meinungsstreit getätigte Äußerung tatsächlich ernsthaft gekränkt oder in seiner Ehre verletzt fühlt. Und wenn ja, sollte er die Politik besser wieder verlassen und eventuell Hausmeister in einem Mädchenpensionat werden. Vielmehr ist also davon auszugehen, dass es Tancsits nur darum geht, eine kritische NGO mundtot zu machen und ihr finanziell zu schaden. Und die HOSI Wien zählt immerhin nicht nur zu den entschiedensten GegnerInnen der schwarz-blauen Koalition im Allgemeinen (mehr dazu hier), sondern sie hat im Besonderen auch die konservativ-reaktionäre Politik der ÖVP in Sachen Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen (§ 209, Antidiskriminierung, Eingetragene PartnerInnenschaft) stets heftig kritisiert (was die ÖVP sicherlich auch viele WählerInnenstimmen gekostet hat und kosten wird).

Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Tancsits mit der Enkelin des austro-faschistischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß verheiratet ist, der in unserer Aussendung wie folgt erwähnt wurde: „Die ÖVP lebt in Wirklichkeit geistig noch in den Zeiten des klerikalen Austrofaschismus, wie ja auch ihre ungebrochene Dollfuß-Verehrung beweist.“ Tancsits ist bei dieser Dollfuß-Verehrung im Übrigen nicht ganz untätig gewesen. Siehe dazu: http://hietzing.gruene.at/textneu/2004/dollfuss.htm

Die Klagsflut des ÖVP-Abgeordneten gegen die HOSI Wien muss daher vielmehr als Versuch, eine kritische NGO einzuschüchtern, und als massiver Anschlag auf die Meinungsfreiheit gewertet werden, zumal die bisherige Judikatur in ähnlich gelagerten Fällen – sowohl durch den Obersten Gerichtshof als auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (mehr darüber unter Die Klagen) – eindeutig ist. Aber offenbar spekuliert Tancsits damit, in der Justiz willige Vollstrecker zu finden, denn die Klagen machen ohne die Überlegung, als ÖVP-Abgeordneter quasi automatisch gegen kritische Homosexuelle vor Gericht Recht zu bekommen, einfach keinen Sinn, zumal das gesamte Prozessrisiko bei der unterliegenden Partei liegt und diese sowohl im Zivil- als auch im Strafprozess sämtliche Kosten beider Parteien zu tragen hat.

Diese Methode, Kritiker durch gerichtliche Klagen mundtot machen und die Meinungsfreiheit damit einschränken zu wollen, haben im Übrigen die drei von den EU-14 eingesetzten Weisen Ahtisaari, Frowein und Oreja – allerdings damals in Bezug auf die FPÖ – in ihrem Bericht vom September 2000 heftig kritisiert (Randnummern 97-103 des Weisenberichts – zum Download hier).

Die HOSI Wien lässt sich aber garantiert nicht einschüchtern! Wir haben uns einen ausgezeichneten Anwalt genommen – Dr. Thomas Höhne von der Kanzlei Höhne, In der Maur & Partner –, der uns vor Gericht vertreten wird. Für uns ist diese Auseinandersetzung jedoch in erster Linie eine hochpolitische und keine rechtliche. Nicht die HOSI Wien stellt die ÖVP und ihre Abgeordneten ins Nazi-Eck – sie haben dies selber getan, indem sie den homosexuellen KZ-Opfern keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung zuerkennen wollen und damit zum Ausdruck bringen, diese Opfergruppe sei zu Recht im KZ inhaftiert gewesen.

Die HOSI Wien hat daher – getreu dem antifaschistischen Motto „Wehret den Anfängen!“ – die Initiative SOS Meinungsfreiheit ins Leben gerufen. Wir wollen damit aufzeigen, dass auch die ÖVP in den letzten fünf Jahren immer mehr zu einer antidemokratischen Partei mit radikal autoritärem Einschlag geworden ist, die mit Methoden, die bisher der FPÖ vorbehalten waren, versucht, KritikerInnen zum Schweigen zu bringen und die Meinungsfreiheit einzuschränken. Die Folgen dieser Politik – die „freiwillige“ Schere in den Köpfen vieler österreichischer JournalistInnen, speziell im ORF – ist ja mittlerweile evident, wobei offenbar inzwischen auch ausdrücklich die – politische – Weisung erfolgt sein muss, dass die HOSI Wien im ORF nicht mehr vorzukommen habe, denn sie wird seit einiger Zeit vom ORF regelrecht „boykottiert“.

Die HOSI Wien ruft zu Solidarität und Protest – und zwar nicht nur in Sachen Anschlag auf die Meinungsfreiheit, sondern auch in Sachen Nichtanerkennung der homosexuellen NS-Opfer im OFG – sowie zu Spenden auf (mehr dazu unter Solidarität).

Da die HOSI Wien aus ihren vielfachen negativen Erfahrungen nur mehr sehr begrenztes Vertrauen in die österreichische Justiz hat, hat sie ausländische Botschaften, Abgeordnete zum Europäischen Parlament und Menschenrechtsorganisationen, wie die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte oder amnesty international, ersucht, Prozessbeobachter zur Hauptverhandlung in der Strafsache am 28. April 2005 vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu entsenden, damit wenigstens die Chance auf ein halbwegs faires Verfahren besteht.

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