Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs


CSR

„Corporate Social Responsiblity (CSR)“

VON IRENE ZEILINGER

Corporate Social Responsibility (CSR) – oder „gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (GVU)“, wie der deutsche Begriff lautet (der sich aber wohl wieder nicht durchsetzen wird) – bezeichnet das ethische Verhalten eines Unternehmens gegenüber der Gesellschaft. In der Europäischen Union ist CSR seit einiger Zeit in: Zahlreiche Konferenzen, Runde Tische und Seminare beschäftigen sich damit, und Arbeitgeberverbände arbeiten genauso zu diesem Thema wie NGOs (Nichtregierungsorganisationen), Gewerkschaften und Regierungen. Dabei kann man leicht von der Bandbreite der AkteurInnen auf diesem Gebiet und der schieren Anzahl von Standards, Zertifikaten, Labels usw. überwältigt werden. Und auch in Österreich tut sich einiges auf diesem Gebiet – siehe dazu diesen Beitrag.

CSR berührt und verbindet viele Bereiche, die lange Zeit als isolierte Themen begriffen wurden. Durch CSR soll die Vision einer „nachhaltigen Entwicklung“ in die Unternehmensstrategie integriert werden. Die EU-Kommission definiert in ihrem Grünbuch aus dem Jahre 2001 den CSR-Ansatz als Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. Unter „Stakeholdern“ – im Gegensatz zu den „Shareholdern“, den AktionärInnen – versteht man alle Schlüsselakteure bzw. Interessengruppen, die die Geschäftstätigkeit des Unternehmens beeinflussen oder von ihr beeinflusst werden: ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungen, KundInnen, Lieferanten, Behörden, NGOs, Medien, die Öffentlichkeit, aber auch die EigentümerInnen und AktionärInnen der Unternehmen. Im angloamerikanischen Raum verwendet man für CSR auch den Begriff „Triple-P-Ansatz“: People, Planet, Profit (Menschen, Umwelt, Gewinn). Firmen sind demnach nicht nur dafür verantwortlich, Gewinne zu erzielen, sondern tragen auch Verantwortung für die Umwelt, das Personal und die Gemeinschaften, in denen sie ihre Tätigkeit entfalten.

Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen

Eine Reihe von Indikatoren wird eingesetzt, um die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens zu messen. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen werden immer öfter auch dazu verwendet, um geeignete Aktien für ethische oder SRI-Investmentfonds auszuwählen (SRI – socially responsible investing = sozial verantwortliches Investieren). Diese Fonds dienen ihrerseits als Hebel, um das Verhalten und die Berichtslegung von Unternehmen auf diesem Gebiet zu verbessern.

Auch in Österreich greift sozial verantwortliches Investieren um sich. Nachdem lange Zeit einzig ein paar „grüne“ Fonds aufgelegt wurden, die ausschließlich in umweltfreundliche Branchen investieren, hat sich in den letzten Jahren das Angebot auf SRI-Fonds ausgeweitet, die auch soziale Kriterien in ihre Aktienauswahl miteinbeziehen. Die Gründung der österreichischen MitarbeiterInnenvorsorgekassen („Abfertigung neu“) im letzten Jahr hat einige NGOs auf den Plan gerufen, die die neu errichteten Institute so lange bearbeitet haben, bis diese sich zur Einhaltung von CSR-Kriterien bei ihrer Aktienauswahl verpflichtet haben. Allerdings bleibt nun abzuwarten, wie die Entwicklung und Überprüfung dieser ethischen Kriterien verlaufen wird – ein erster Ansatzpunkt für die Lesben- und Schwulenbewegung.

Soziale Verantwortung gewinnt auch wirtschaftlich an Bedeutung

Sozial verantwortliches Investieren gewinnt in der Finanzwelt an Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund von Firmenskandalen – Stichwort Enron und Worldcom –, die die wirtschaftlichen Vorteile von CSR deutlich gemacht haben. Derartige Verluste tun weh, und PrivatanlegerInnen suchen ebenso wie große Pensionskassen nach Zusatzinformationen, die ihnen das „stock picking“ in Hinblick auf die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Firmen erleichtern sollen. Und da kommt ihnen CSR gerade recht. SRI-Fonds sind in den letzten eineinhalb Jahren unter den wenigen Fondskategorien gewesen, die weiterhin Kapitalzufluss verzeichnen konnten. Das heißt, dass in einem pessimistischen Börsenklima sozial verantwortliche Unternehmen noch am ehesten InvestorInnen zu überzeugen vermögen.

CSR und SRI müssen auch im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Regulierungsansätze verstanden werden. Vom Ansatz der 60er und 70er Jahre, da Regierungen vermehrt gesetzliche Rahmen für die soziale Verantwortlichkeit von Firmen entwarfen und deren Einhaltung kontrollierten, ging es weiter über das Postulat der Selbstregulierung von Unternehmen während der 80er und 90er Jahre bis zum heutigen, weit skeptischeren Ansatz, was das Vertrauen in die Aufrichtigkeit von Unternehmen betrifft: Sie sollen sich zwar selbst am Riemen reißen, aber auf Behördenkontrolle wird nicht mehr verzichtet. Firmen sollen heute einerseits die Gesetze als Mindeststandards begreifen, sie andererseits aber freiwillig durch ihre Bemühungen übertreffen, sofern dies wirtschaftlich möglich ist.

Als Gründe, warum Unternehmen überhaupt sozial verantwortlich handeln sollen, werden zwei große Argumentationslinien vorgebracht. Zum einen der „Business Case“: Firmen können sich Wettbewerbsvorteile verschaffen, indem sie sich neue Märkte eröffnen, ihr Image als Arbeitgeberinnen verbessern, Risiken für ihren guten Ruf vermindern (wer erinnert sich nicht an Shell und die PR-Desaster um Brent Spar und Ken Saro Wiwa?), Umweltkosten reduzieren usw. Hier wird CSR also als eine Unternehmensphilosophie betrachtet, die sich rechnet, sich rentiert. Das andere CSR-Lager betont weniger die wirtschaftlichen Vorteile, die Unternehmen aus CSR erwachsen sollen, sondern spricht die soziale Gerechtigkeit und die moralische Verpflichtung von Firmen an, sich aktiv für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen (oder zumindest schädliche Aktivitäten zu unterlassen).

Was ist für Lesben und Schwule drin?

Für NGOs und besonders für die Lesben- und Schwulenbewegung leuchtet es ein, dass die Argumentationslinie hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit für ihre politische Arbeit wichtiger sein sollte, denn noch ist es ja nicht wissenschaftlich bewiesen, das Nichtdiskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgenderpersonen tatsächlich wirtschaftlich Gewinn bringend ist. Zur Überzeugung von Firmen kann das Business-Case-Argument natürlich eingesetzt werden und hat hier durchaus seine Bedeutung. Allerdings sollten sich NGOs – egal, welche Interessengruppen sie vertreten – von den eigenen Argumenten nicht die Sicht auf den eigentlichen Inhalt von CSR verstellen lassen: Die Verantwortlichkeit von Unternehmen gegenüber der Gesellschaft kann nicht mit Gold aufgewogen werden.

Wo es für Lesben und Schwulen in der CSR-Debatte konkret interessant wird, ist das erste „P“ dieses Konzepts, wo es um die Menschen geht. Die soziale Perspektive von CSR beinhaltet die Art und Weise, wie Unternehmen mit ihren ArbeitnehmerInnen umgehen. Hier sind Chancengleichheit und Diversität angesiedelt. In den meisten Analysemethoden für CSR hat Chancengleichheit einen Platz. Allerdings ist sexuelle Orientierung in diesem Untersuchungsfeld nur eine unter mehreren Kategorien und hat aufgrund der eher kurzen Geschichte weniger Gewicht. Eine Befragung der größeren CSR-Forschungsinstitute in Europa ergab jedoch, dass sexuelle Orientierung immerhin den 3. Platz belegt und in fünf von sieben Methoden explizit vorkommt (erste sind Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit, die in allen sieben Methoden untersucht werden, gefolgt von Alter und Religion). Im konkreten Fall geht es dabei zwar meist nur um ein pures Abfragen, ob sexuelle Orientierung im Diversity-Leitbild eines Unternehmens überhaupt vorkommt, und weniger darum, was tatsächlich für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenderpersonen getan wird. Aber es bedeutet Sichtbarkeit für dieses Thema, und es ist zu erwarten, dass mit der Entwicklung konkreter Antidiskriminierungsmaßnahmen für diese Zielgruppe auch die Messmethoden „mitwachsen“.

Auch Diversity-Management ist im Kommen

Auf der Seite der Unternehmen sieht es weniger rosig und lila aus, denn viele kämpfen schon darum, die sich verändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen, z. B. die Auswirkungen der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie nachzuvollziehen und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Die Anzahl der Unternehmen mit einem Diversity-Leitbild, das auch sexuelle Orientierung anspricht, nimmt jedoch zu. In Österreich wäre hier etwa die OMV zu nennen, die in unserem Land eine Vorreiterinrolle spielt. Aber es sind immer noch sehr wenige Firmen, die diese Absichtserklärungen in konkrete Maßnahmenpakete umsetzen. Am fortgeschrittensten sind hier oft die europäischen Filialen von US-Unternehmen, die die schon länger bestehenden Diversity-Management-Programme ihrer Mutterunternehmen umsetzen müssen, z. B. Ford oder Procter & Gamble . Dies liegt zum Teil daran, dass Diversity-Management in Europa eher als US-amerikanische Modeerscheinung betrachtet wird und im Gegensatz zu Antidiskriminierung und Gleichstellung noch nicht viele AnhängerInnen gefunden hat, auch nicht in der Lesben- und Schwulenbewegung. Aber allmählich wachen auch die europäischen Firmen auf. So fand im Juni 2003 eine erste europäische Konferenz zum Thema Diversity-Management und sexuelle Orientierung in Frankfurt am Main statt, gesponsert von der Deutschen Bank.

Für die Lesben- und Schwulenbewegung bestehen deutliche Anreize, sich in der CSR-Debatte zu engagieren. Weltweit gibt es 60.000 transnationale Unternehmen mit 800.000 Filialen, und dazu noch 50.000 nationale Unternehmen, die alle an Börsen notiert (und dadurch für SRI interessant) sind. Diese Firmen sind Arbeitgeberinnen für dutzende Millionen Menschen, darunter hunderttausende Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenderpersonen. Für die Bewegung kann CSR ein Ansatzpunkt sein, um gegen Diskriminierung in der Arbeitswelt zu kämpfen und Veränderungen in der Personalverwaltung zu erreichen. Wir können dabei zwischen Zuckerbrot und Peitsche wählen. Sind die Unternehmen für unsere Anliegen offen, können wir mit ihnen engagiert kooperieren. Diejenigen, bei denen wir hingegen auf taube Ohren stoßen, können wir öffentlich mit ihrer ablehnenden Haltung konfrontieren. In jedem Fall können Unternehmen einiges von unserer Gemeinschaft darüber lernen, wie sie Arbeitsplätze auch für uns zu- und erträglich gestalten können.

Web-Tipps:
Auf EU-Ebene: ec.europa.eu/enterprise/csr/index_de.htm
In Österreich: Respact Austria