Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs

Forderungsprogramm

in der von der Generalversammlung am 3. September 2022 beschlossenen Fassung

Präambel

LGBTIQ – das ist nicht alles, was wir sind, aber es gehört zu allem, was wir sind. Solange Homo-, Bi- und Pansexualität sowie die Anerkennung der Geschlechtsidentität nicht selbstverständlich, sondern Gegenstand von Unterdrückung, Tabuisierung, Diskriminierung, Angst, Elend, Vereinsamung und Verzweiflung, werden wir nicht aufhören, für die Befreiung und Emanzipation von lesbischen, schwulen und bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen zu kämpfen. 

Im 21. Jahrhundert ist es höchste Zeit, dass eine aufgeklärte Gesellschaft anerkennt, dass die Wahl zwischenmenschlicher, auch sexueller, Beziehungsformen sowie das Ausleben der individuell empfundenen Geschlechtsidentität ein elementares Grundrecht ist. 

Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität zu benachteiligen, bedeutet ihre Menschenrechte zu missachten, und zerstört damit eine wesentliche Grundlage jeder freien und humanen Gesellschaft, die auf der Achtung und dem Respekt vor der Würde und Einzigartigkeit aller Menschen und ihrem Recht auf Selbstbestimmung begründet sein muss.

Rechtspolitisches Forderungsprogramm

I. Diskriminierungsschutz

Wir fordern, dass der gesetzliche Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung an jenes Niveau angeglichen wird, das für andere Schutzkategorien (ethnische Herkunft, Behinderung, Geschlecht) bereits gilt („Levelling-up“), da es absurd ist, ausgerechnet beim Diskriminierungsschutz eine diskriminierende Hierarchie bestehen zu lassen.

Darüber hinaus fordern wir die Verabschiedung eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes, das über die Vorgaben der geltenden EU-Richtlinien hinausgeht.1

II. PartnerInnenschaftsrecht

Menschen sollen vom Staat in ihrer Eigenständigkeit anerkannt und dementsprechend behandelt werden. Wo immer dies möglich ist, sollten Rechte daher grundsätzlich unabhängig von der Beziehung der PartnerInnen und vom Familienstand individuell gewährt werden.

Vom mittlerweile veralteten patriarchalen Modell der Versorgungsehe ist rechtlich abzugehen, und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der einzelnen PartnerInnen ist zu fördern. Denn wirkliche Freiheit bei der Wahl des Zusammenlebens ist nur gegeben, wenn keine der beteiligten Personen ökonomisch von einer anderen abhängig ist.

Wir fordern die rechtliche Fortentwicklung der eingetragenen Partnerschaft. Gerade durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare besteht kein Grund mehr, die EP als Blaupause der Ehe auszugestalten. Es ergibt sich vielmehr nun die Chance, die EP als modernes alternatives Rechtsinstitut zur Ehe auszubauen. In erster Linie betrifft dies die Scheidungsbestimmungen: So sollte beispielsweise die Dauer, während der ein/e Partner/in die Auflösung der EP blockieren kann, auf maximal ein Jahr beschränkt werden. Die Scheidung aus Verschulden hingegen sollte sowohl für die EP als auch für die Ehe abgeschafft werden.

III. Familienrecht

Wir fordern uneingeschränkten Zugang für Frauen zur künstlichen Befruchtung im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin (z. B. Samenbanken) unabhängig von ihrem Familienstand, also auch für alleinstehende Frauen.

Bei der Frage der Leihmutterschaft stehen einander der Kinderwunsch von schwulen Männern und die Notwendigkeit des Schutzes von Frauen vor Ausbeutung gegenüber. Angesichts der wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen Arm und Reich sowie zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern sehen wir die Gefahr, dass die wirtschaftliche Situation von Frauen ausgenutzt wird und sie in manchen Regionen der Welt sogar dazu gezwungen werden. Vor diesem Hintergrund lehnen wir Leihmutterschaft ab.

IV. Verfassungsrecht

Nicht zuletzt aus grundsätzlichen Erwägungen und als Signal, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu ächten, fordern wir eine Antidiskriminierungsbestimmung im Verfassungsrang, und zwar konkret die Ergänzung des Artikels 7 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) um die Schutzkategorie „sexuelle Orientierung“.

V. Personenstandsrecht

Dass die eigene Geschlechtsidentität auch in offiziellen Dokumenten anerkannt wird, gehört zur Menschenwürde einer Person. Deshalb fordern wir, die freie Personenstandswahl ohne bürokratische Hürden – jeder Mensch muss durch Selbstauskunft in dem Geschlecht anerkannt werden, in dem die Person lebt.  

Die bereits für intergeschlechtliche Menschen wählbaren Geschlechtseinträge abseits der binären Einträge weiblich und männlich müssen auch für Personen abseits des binären Geschlechtsspektrums wählbar sein. Wir fordern, dass transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen Zugang zu den Einträgen „inter“, „divers“, „offen“ und „kein Eintrag“ erhalten. Die Personenstandsänderung darf nicht zu finanziellen Belastungen und in weiterer Folge zu Schulden führen. Wir fordern kostenfreie Neuausstellung von Dokumenten und Abschaffung der Gebühren für Personenstands- und Vornamensänderungen.

VI. Völkerrecht

Wir fordern das Setzen und Unterstützen von Initiativen auf allen Ebenen der Europa- und Außenpolitik, um Diskriminierungen von Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität abzubauen. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit fordern wir die aktive Unterstützung lokaler LGBTIQ-Initiativen.

VII. Asylrecht

LGBTIQ-Asylwerber*innen werden im Asylverfahren und in den Flüchtlingsunterkünften, oft Massenquartieren, mitunter erneut Opfer LGBTIQ-feindlicher An- und Übergriffe. Wir fordern daher die Berücksichtigung der besonderen Situation von queeren Geflüchteten bei der Betreuung und Unterbringung durch entsprechend geschultes Personal.

VIII. Rehabilitierung der Strafrechtsopfer

Noch bis 2002 wurden in Österreich Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt und ins Gefängnis gesperrt. Allein zwischen 1945 und 1971 wurden rund 15.000 Verurteilungen nach § 129 I b StG (Totalverbot homosexueller Handlungen sowohl zwischen Männern als auch Frauen) ausgesprochen; zwischen 1971 und 2002 waren es rund 1.500 Verurteilungen nach den §§ 209, 210, 220 und 221 StGB. Diese strafrechtlichen Sondergesetze waren menschenrechtswidrig.

Wir fordern daher eine Entschuldigung durch das Parlament und eine Rehabilitierung der Opfer, und zwar konkret eine Entschließung des Nationalrats, in der dieser

  1. sich zu seiner Verantwortung für die jahrzehntelange menschenrechtswidrige Unterdrückung und strafrechtliche Verfolgung von Lesben und Schwulen in Österreich bekennt;
  2. sich für das homosexuellen Frauen und Männern dadurch zugefügte Unrecht und Leid entschuldigt;
  3. alle Opfer dieser Gesetzgebung rehabilitiert und zu diesem Zweck die Möglichkeit schafft, Urteile, die gemäß § 129 I b StG sowie nach 1971 gemäß den §§ 209, 210, 220 und 221 StGB gefällt worden sind, offiziell für nichtig erklären und als Unrechtsurteile aufheben zu lassen und die Opfer entsprechend zu entschädigen – sofern es sich im Einzelfall um keine Straftatbestände handelte, die auch heute strafbar wären.

Eine solche Entschädigung soll insbesondere die beitragsfreie Anrechnung der Haftzeiten als Ersatzzeit auf die Pensionsversicherungszeit, die entsprechend verzinste Rückzahlung verhängter Geldstrafen sowie die pauschale Abgeltung für allfällige Anwalts- und Gerichtskosten und für jedes Haftmonat umfassen.

Im Rahmen dieser Entschädigung sind sämtliche sonstige Sanktionen und Maßnahmen, die gegen den erwähnten Personenkreis verhängt wurden, wie etwa die Aberkennung akademischer Grade, der Entzug von Gewerbeberechtigung oder Führerschein etc., kostenfrei zurückzunehmen bzw. aufzuheben bzw. die dafür in der Vergangenheit von den Betroffenen geleisteten allfälligen finanziellen Aufwendungen entsprechend zu ersetzen.

Gesellschaftspolitisches Forderungsprogramm

I. Öffentliche Informationen

Wir fordern die Berücksichtigung von lesbischen, schwulen und bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen in allen Informationsangeboten von staatlichen Einrichtungen – egal, ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene – sowie von gesetzlich verankerten Interessenvertretungen (Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer etc.).

II. ORF

Wir fordern die Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im bisherigen Umfang und eine Vertretung von lesbischen, schwulen und bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen in allen Gremien des ORF, in denen auch andere Interessengruppen repräsentiert sind.

Wir fordern eine angemessene inhaltliche Berücksichtigung von lesbischen, schwulen und bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen und deren Kultur und Lebensrealität im Programm von Radio, Fernsehen und Online-Angeboten. Das betrifft sowohl Nachrichtensendungen und Dokumentationen als auch das Unterhaltungsangebot, hier insbesondere vom ORF (ko-)produzierte Filme und Serien.

III. Religion

Als überkonfessioneller Verein respektieren wir das Bedürfnis von Menschen nach Religion und Spiritualität. Im Sinne der Aufklärung und des Laizismus fordern wir die tatsächliche Trennung von Kirche und Staat. Sachlich nicht gerechtfertigte Privilegien und Förderungen von Religionsgemeinschaften sollen abgeschafft werden. Beim Schutz vor Verhetzung und Diskriminierung dürfen auch Religionsgemeinschaften nicht über dem Recht stehen.

IV. Finanzielle Förderung

Wir fordern die Anerkennung der gesellschaftspolitischen Bedeutung von LGBTIQ-Projekten (Beratung, Bildung und Information, Begegnung, Kunst und Kultur etc.). Weiters fordern wir für diese einen gesetzlichen Anspruch auf finanzielle Förderung, um die Umsetzung solcher Projekte zu ermöglichen. Für Organisationen, die solche Projekte dauerhaft betreiben, muss eine Basisförderung sichergestellt werden.

V. Arbeitswelt

Wir unterstützen ein Coming-out am Arbeitsplatz. Wir fordern Unternehmen auf, eine aktive Diversitätsarbeit zu betreiben und ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen sich ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität beruflich verwirklichen können.

VI. Medizinisches

Der heutige Stand der Wissenschaft belegt, dass Homo- und Bisexualität gleichwertige und natürliche Varianten der Sexualität und keine Krankheit sind. Dennoch können psychische und physische Beeinträchtigungen entstehen, wenn aufgrund von mangelnder Akzeptanz oder gar Aggressionen im Umfeld von Familie, Schule, Arbeit oder Religion die gesunde Entwicklung einer Identität von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen nicht gewährleistet ist. Daher fordern wir Maßnahmen, die die psychische und physische Gesundheit von LGBTIQ–Personen unterstützen.  

Wir fordern das Verbot aller Therapien, die vorgeben, Homo- und Bisexualität oder Transgeschlechtlichkeit zu „heilen“. 

Der überdurchschnittlich hohen Betroffenheit von Männern, die mit Männern Sex haben, von HIV/AIDS ist durch geeignete Maßnahmen Rechnung zu tragen, insbesondere durch zielgruppenspezifische Präventionsprogramme. Wir fordern größtmögliche Anonymität und den Schutz der Betroffenen vor Datenweitergabe im gesamten Gesundheits- und Sozialwesen. 

Wir fordern zusätzlich, dass das zur HIV-Prävention verwendbare Medikament PrEP von allen Krankenkassen übernommen werden muss. Des Weiteren muss das Post Exposure Medikament PEP ebenfalls von allen Krankenkassen übernommen werden. Adäquate Prävention darf keine Frage des Einkommens sein. 

Es muss möglich sein, dass transgender Personen in Österreich adäquat medizinisch versorgt werden. Deshalb fordern wir, dass das Angebot von spezialisierten Anlaufstellen ausgebaut wird und somit alle transgender Personen ohne unzumutbare Wartezeiten entsprechende Versorgung erhalten. 

Wir fordern das Ende der Pathologisierung von inter- und transgeschlechtlichen Personen in Österreich.  

Wir fordern das Verbot von medizinisch nicht notwendigen geschlechtsverändernden Operationen bei intergeschlechtlichen Minderjährigen. 

VII. Schutz der Privatsphäre

Wir fordern ein Verbot der Weitergabe der Information über die sexuelle Orientierung von Menschen ohne deren explizite Zustimmung.

Generell hat der Umgang mit Daten zur sexuellen Orientierung und Trans- und Intergeschlechtlichkeit mit größtmöglicher Sensibilität zu erfolgen.

VIII. NS-Gedenken

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, das Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus zu bewahren. Wir fordern die Schaffung eines entsprechenden Mahnmals an einem prominenten Ort in Wien und die Förderung und Unterstützung entsprechender wissenschaftlicher Arbeiten sowie der Gedenk- und Aufklärungsarbeit.

Bildungs- und Kulturpolitik

Eine objektive, seriöse und menschenfreundliche Bildungspolitik muss die verschiedenen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten wertfrei und gleichwertig behandeln. .

I. Jugendbildung

Wir fordern die fächerübergreifende Integration von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Vielfalt in allen Lehrinhalten. Die Darstellung von LGBTIQ-Personen muss gleichwertig und sachlich sein. Wir fordern, dass alle zum Unterricht zugelassenen Schulbücher und Lehrmittel geprüft werden, ob sie diesen Kriterien entsprechen. 

Der Geschichte der Verfolgung von LGBTIQ Personen und ihren Emanzipationsbewegungen ist besonderes Augenmerk zu schenken. 

Wir fordern eine entsprechende, fundierte Ausbildung der Lehrkräfte, die auch eine Sensibilisierung zum Thema Mobbing von Schüler*innen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechstidentität beinhaltet. 

Wir fordern die Einrichtung eines queeren Jugendzentrums in Wien, in dessen Entwicklung und Gestaltung wir strukturell eingebunden sind. 

II. Wissenschaft und Forschung

An den Hochschulen und Universitäten fordern wir die Unterstützung und Förderung von Forschungsarbeiten, insbesondere im Bereich Gender Studies und Queer Studies. 

(Pseudo-)Forschung, die verschiedene Formen der Sexualität und Geschlechtsidentität als nicht gleichwertig oder als „unnatürlich“ betrachtet und die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von Menschen mit chirurgischen, pharmakologischen oder anderen Methoden zu beeinflussen versucht oder ihre Thesen auf unwissenschaftliche Art erstellt hat, halten wir für ethisch verwerflich und menschenfeindlich. Wir lehnen sie kategorisch ab. 

Wir wenden uns gegen jegliche Versuche, die Diskriminierung und Pathologisierung von lesbischen, schwulen und bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (pseudo-)wissenschaftlich zu rechtfertigen. Wir fordern, dass solche Forschungen und Methoden keine Förderungen aus öffentlichen Mitteln erhalten. 

III. Kunst und Kultur

Wir fordern die Unterstützung von LGBTIQ Kunst und Kultur sowie generell die Berücksichtigung von LGBTIQ-Lebensweisen in künstlerischen Projekten. Dies soll auch ein Kriterium bei der Vergabe von Fördermitteln sein.


1 Ein Entwurf für ein solches Gesetz ist bereits 2001 von österreichischen Nichtregierungsorganisationen, darunter der HOSI Wien, erarbeitet worden. Darüber hinaus ist die Ausweitung der Diskriminierungsgründe dringend zu überprüfen, um auch in der heutigen Zeit relevant gewordene Faktoren zu berücksichtigen, etwa „genetische Merkmale“.