„Aus den Filtern behutsamer Trauer bergen wir die Schönheit, die bleibt …“*
Beim NAMES Project Wien erfahren LebensgefährtInnen, Eltern, Freundinnen und Freunde von an AIDS Verstorbenen, dass sie nicht allein sind. Viele von ihnen finden in ihrer gewohnten Umgebung niemanden, mit dem sie sich aussprechen können: aus – leider allzuoft begründeter – Angst, Verwandte, Bekannte, Nachbarn oder Kollegen könnten erfahren, dass hier das HI-Virus im Spiel war. Das NAMES Project Wien bietet ihnen Gelegenheit, über ihren Schmerz zu reden.
1987 nähte der Amerikaner Cleve Jones für seinen an AIDS verstorbenen Lebensgefährten ein Gedenktuch (Panel) in den Ausmaßen eines Grabes (90×180 cm) und schrieb dessen Namen darauf. Freunde schlossen sich an und stellten zusammen mit Jones bis zum Gay Pride Day 1987 vierzig Tücher fertig, zusammengefasst zu fünf Quadraten: Das war der Beginn des Quilt (wörtlich: Steppdecke), der seither regelmäßig vor dem Weißen Haus in Washington aufgebreitet wird. Im Oktober 1992 waren es bereits 22.000 Panels, die mehr als einen halben Quadratkilometer bedeckten. Teilnehmer dieser Feier verlesen die Namen der an AIDS verstorbenen Freunde, derer mit dem Quilt gedacht wird (daher die Bezeichnung „Names Project“). Diese schlicht gehaltene Zeremonie begann 1992 schon vor der Morgendämmerung und dauerte bis spät in die Nacht. Sie ist nicht nur dem Andenken der Toten gewidmet, sondern auch eine eindrucksvolle politische Manifestation: gegen Diskriminierung, für umfassende Aufklärung – und für ein humanes Gesundheitssystem mit ausreichender Gesundheitsvorsorge und Krankenbetreuung, das menschenwürdige Sterbebegleitung sicherstellt.
Seit Herbst 1992 gibt es auch in Österreich ein Names Project, initiiert aus Eigeninitiative von Menschen – vor allem aus dem Umfeld der HOSI Wien –, die Lebensgefährten, Kinder und Freunde durch AIDS verloren hatten, und die das Schweigen durchbrechen wollten, indem sie ihre Liebe zu diesen Menschen in Erinnerungstüchern zum Ausdruck brachten. AIDS sollte auch in Österreich ein Gesicht, einen Namen bekommen, das Stigma und den Schrecken verlieren. Ein Schneider stellte zudem seine Werkstatt dem Names Project zur Verfügung. Diese Werkstatt war Treffpunkt für LeidensgefährtInnen, wo entworfen und mit fachmännischer Unterstützung genäht, gestickt, aufgebügelt und Stoff bemalt wurde. Es entstanden ebenso würdevoll schlichte Tücher wie fröhlich bunte – je nach Naturell der Verstorbenen und der Menschen, die ihrer mit einem sehr individuellen Stück Amateurkunst gedachten.
Durch das gemeinsame Arbeiten an Gedenktüchern wird scheinbar nicht verkraftbarer Schmerz mit anderen geteilt; das erleichtet, ihn zu überwinden. So fand z. B. eine Frau, die ihrem an AIDS erkrankten Sohn rat- und sprachlos gegenübergestanden war, hier die Gelegenheit zur Aussprache, die sie in ihrer Familie nicht hat. Hier traf sie Freunde ihres Sohnes, konnte erstmals offen über sein Leben sprechen und lernte allmählich, ihn zu verstehen und zu lieben. Als er gestorben war, nähte sie ein Gedenktuch, in der Mitte ein großes Porträtfoto, darunter sein Vorname und der Satz „Nur wer vergessen ist, ist tot“.
Seit 1992 wird der Quilt zu bestimmten Anlässen (Welt-AIDS-Tag, AIDS-Memorial-Day, Gay-Pride-Day, Ausstellungen) präsentiert. Nach amerikanischem Vorbild werden die Tücher nach einem festgelegten Ritual feierlich aufgebreitet; im Anschluß werden die Namen von den Hinterbliebenen verlesen.
Bis dato sind im Rahmen der Trauerarbeit beim NAMES Project Wien 88 Tücher entstanden; auf den Tüchern stehen mehr als 360 Namen von Verstorbenen und halten die Erinnerung wach und lebendig. Der Quilt wird regelmäßig am AIDS-Memorial-Day, am Welt-AIDS-Tag, zur Regenbogenparade etc. präsentiert. Darüberhinaus wird der Quilt und die Idee des Names Project häufig an
Schulen – im Zuge von AIDS-Schwerpunktveranstaltungen – vorgestellt.
Kontakt:
NAMES Project Wien – Der österreichische AIDS-Memorial-Quilt
Arbeitsgruppe der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien
Internet: www.namesproject.at, E-Mail: office@namesproject.at
Kontaktpersonen:
Brigitte Zika-Holoubek, Tel. 02955/70 597
Friedl Nussbaumer, Tel. 0699/1260 8377
*aus Christine Busta „Inmitten aller Vergänglichkeit“