Elfriede Jelinek hat mit ihrem Interview in der Berliner Morgenpost vom 27. Februar 2000 den Startschuß für ein mögliches Outing Jörg Haiders als Schwuler gegeben. Zuvor, Mitte Februar, hatte zwar schon Rosa von Praunheim in einer niederländischen Schwulenzeitung über Haiders Homosexualität berichtet, aber dies fand kein Echo in den Mainstream-Medien.
Am jenem Tag stellte der Standard eine DPA/APA-Meldung über das Jelinek-Interview in seine Online-Seiten. Danach lief im Online-LeserInnen-Chatroom des Standard eine angeregte Debatte über die vielen Gerüchte über Haiders Schwulsein. Am 29. Februar schließlich berichtete die britische Tageszeitung The Guardian, Haiders Rücktritt als Parteiobmann sei möglicherweise eine Panikreaktion auf diese Gerüchte gewesen. Mit Jelineks Ausführungen beschäftigten sich auch die Zürcher Weltwoche (Titel: Heil Hitler – huch Haider) vom 9. März sowie die Ausgaben 11/00 von Volksstimme und NEWS (Interview mit Erika Pluhar), beide vom 16. 3. 2000.
Zwischen Mitte Februar und Mitte März berichtete Kurt Krickler in Interviews für zahlreiche schwul/lesbische Printmedien und Radiosendungen in ganz Europa und den USA über die vielen Gerüchte und Vermutungen, die über Haiders Homosexualität im Umlauf sind.
Am 21. März 2000 ist nun Jochen Herdieckerhoff in der Berliner tageszeitung schließlich zur Tat geschritten und hat Jörg Haider praktisch als Schwulen geoutet.
Die HOSI Wien hat das Interesse an diesem Thema zum Anlaß genommen, auf ihrer Homepage Materialien dazu zusammenzustellen, darunter die eigenen Beiträge aus ihrer Zeitschrift LAMBDA-Nachrichten zu dieser Angelegenheit. Damit soll auch die Berichterstattung über den schwul/lesbischen Kampf gegen die ÖVP/FPÖ-Regierung um diese Facette abgerundet werden.
Als wichtigste Interessenvertretung von Lesben und Schwulen in Österreich sah sich die HOSI Wien auch gezwungen, am Tag nach Herdieckerhoffs Artikel in der taz in einer Presseaussendung öffentlich zum Outing Haiders Stellung zu nehmen.
Bereits 1991 (!) hat Elfriede Jelinek das Homoerotische, das Jörg Haider und seinen politischen Jungmänner-Harem schon damals umgeben hat, thematisiert. Daraufhin stellte die HOSI Wien zum erstenmal in ihrer Zeitschrift LAMBDA-Nachrichten die Frage nach Haiders Schwulsein (LN 1/92). Schon damals warnten wir jedoch davor, durch Hinweis auf diese Homoerotik ihn und seine smarten Gesinnungsgenossen in Mißkredit und uns in die Verlegenheit zu bringen, sie vor homophober Denunziation in Schutz nehmen zu müssen. In all den Jahren seither hat es viele Gerüchte über sowie Anspielungen in den Medien auf die sogenannte Buberl-Partie und Haiders Faible für schöne junge Männer gegeben. Die LAMBDA-Nachrichten haben diese Anspielungen im Vorjahr und in ihrer Ausgabe 1/2000 aufgegriffen.
Betrachtet man Outing als politischen Akt gegen versteckte Homosexuelle, die in wichtigen politischen Funktionen anti-homosexuell agieren und handeln, so ist gerade in Haiders Fall ein Outing gerechtfertigt. Immerhin hat Haider 1996 als Nationalratsabgeordneter gegen die Aufhebung der menschenrechtswidrigen Paragraphen 209 und 220 gestimmt (diskriminierendes Mindestalter, Informationsverbot über Homosexualität). Für Lesben und Schwule bringt das Outing Haiders allerdings sicherlich nichts Positives. Er ist kein Renommee für Schwule, keine positive Identifikationsfigur und kein Sympathieträger für schwul/lesbische Anliegen. Aber auch Lesben und Schwulen ist die Wahrheit zumutbar. Sie müssen sich damit abfinden, so schmerzlich das auch sein mag, daß Lesben und Schwule nicht automatisch die besseren Menschen sind, daß Homosexuelle nicht nur Gutmenschen, sondern auch Schlechtmenschen sein können. Es steht indes nicht zu befürchten, daß Haider jetzt ausgerechnet durch seine vermutete Homosexualität diskreditiert und geschadet wird. Es gibt genug Gründe, gegen Haider zu sein, da ist wohl – und speziell für die ohnehin aufgeschlossenen Haider-GegnerInnen – das Schwulsein keiner. Möglicherweise wenden sich seine Bierzelt- und StammtischwählerInnen enttäuscht von ihm ab. Aber gerade die sollten die Wahrheit wissen.
Es stimmt jedenfalls nicht – wie mitunter behauptet wird –, Homosexuelle seien die einzige Minderheit gewesen, gegen die die FPÖ bzw. Haider nicht gehetzt hätte. Das mag vielleicht für Haider in punkto homophober Hetze zutreffen, aber er hat – wie erwähnt – im Parlament gegen die Streichung menschenrechtswidriger anti-homosexueller Strafbestimmungen gestimmt. Überdies hätte gerade er als unbestrittener Führer der FPÖ es in der Hand, in seiner Partei lesben- und schwulenfreundliche Politik durchzusetzen. Er bräuchte nur mit dem Finger zu schnippen.
Was indes die Partei betrifft, so haben zahlreiche FPÖ-Politiker offen gegen Lesben und Schwule gehetzt – die nachstehende Liste erhebt keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit:
- Laut der Standard vom 30. 11. 1993 hat Walter Meischberger das Liberale Forum als „Schwuchtelpartie“ bezeichnet;
- im Landtagswahlkampf in Salzburg haben die FPÖler Karl Schnell und Siegfried Mitterdorfer (Stadtparteiobmann) aufs übelste gegen Schwule gewettert (vgl. Die Presse vom 14. 1. 1994);
- Peter Westenthaler fiel 1994 dadurch auf, daß er dem Wiener SP-Gemeinderat Othmar Brix einen 209er-Fall anhängen wollte;
- in ganzseitigen Inseraten hetzte die FPÖ 1994 gegen zwei prominente Frauen, indem sie diesen vorwarf, erstens lesbisch zu sein und zweitens Privat- und Berufsleben zu verschränken;
- FPÖ-Abgeordneter Hans Pretterebner verfolgte im selben Jahr einen SP-Minister wegen angeblicher Homosexualität auf das mieseste;
- Die FPÖ Salzburg wetterte wiederholt gegen Schwule und Förderungen an die HOSI Salzburg;
- Hilmar Kabas bezeichnete die Rosa Lila Villa als „subventioniertes Bordell“;
- Rainer Pawkowicz wetterte auf tiefstem Niveau gegen das „Wien ist andersrum“-Festival und dessen Förderung durch die Stadt Wien.
Auch wenn die HOSI Wien das Outing Haiders nicht für besonders zweckdienlich für die schwul/lesbische Sache hält, kann sie ein solches Outing nicht verurteilen. Für uns ist Homosexualität die schönste Sache der Welt, wir können daran nichts Negatives sehen. Wir verabscheuen und verurteilen jedoch Heuchelei und Bigotterie.
In diesem Zusammenhang finden wir es auch bezeichnend und bedenkenswert, warum niemand bisher damit an die Öffentlichkeit gegangen ist. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt im Umstand, daß sich jeder durch einen solchen Schritt automatisch selber outen würde, und davor haben wohl diejenigen Angst, die es betrifft. Politiker wie Haider sind also an einem Klima schuld, von dem sie in ihrer eigenen Situation am meisten profitieren: Sie können ihr Schwulsein diskret leben und darauf vertrauen, daß die Furcht vor dem gesellschaftlichen Stigma ihre Partner davon abhält, die Sache publik zu machen.
Wir distanzieren uns auf jeden Fall von Haider und verstoßen ihn aus der schwulen Gemeinschaft. Wer unsolidarisch ist mit Schwulen und Lesben und wer gegen andere Minderheiten auf übelste Art und Weise hetzt, hat jegliche Solidarität verwirkt.