Kommentar von Kurt Krickler
Ja, natürlich darf auch Jörg Haider geoutet werden! Nein, natürlich soll Jörg Haider nicht geoutet werden! Dürfen soll man natürlich dürfen. Als bewegte Lesben und Schwule dürfen und sollen wir nämlich niemals auf ein fundamentales Theorem und Leitmotiv vergessen: Homosexualität ist der Heterosexualität in jeder Hinsicht gleichwertig, sie ist keine Schande, nichts, wofür man sich genieren müßte. Jedes Wenn und Aber, jede Einschränkung dieses Lehrsatzes unterminiert automatisch unsere Bestrebungen nach Gleichstellung und Gleichberechtigung. Sich Zwang anzutun und jemandes Homosexualität zu verschweigen hieße automatisch auch, sich für etwas bei anderen zu genieren, was man selber ist. Und das wäre wohl von offen lebenden Lesben und Schwulen, die in jeder Lebenslage zu ihrer Homosexualität stehen und stolz darauf sind, doch etwas zuviel verlangt bei aller Solidarität und bei allem Verständnis für die angeblich weniger privilegierte Lage der Privilegierten, der Prominenten. (Hier geht es ja nicht um die Lesbe oder den Schwulen von nebenan.)
Aber natürlich soll man Haider nicht outen. Was würde es bringen? Er ist kein Renommee für uns, keine positive Identifikationsfigur, kein Sympathieträger, wie die HOSI Wien in ihrer Stellungnahme erklärt hat. Ich bin zwar überzeugt davon, daß er schwul ist (bei all den Gerüchten, die kursieren, kann es sich ja kaum um eine kollektive Phantasie handeln), aber selbst wenn ich Beweise hätte, würde ich ihn nicht outen. Das einzig für mich Spannende und Interessante dabei wäre ja nur zu sehen, wie jene Deix-Figuren, die sich in Massen bei den Bierzelt- und Aschermittwochsversammlungen der FPÖ versammeln, auf ein Coming out Haiders reagieren würden. Aber diese Leute würden es ja selbst dann nicht glauben, wenn es handfeste Beweise gäbe. Totale Abwehr wäre wohl ihre Reaktion, sie würden die Sache wieder einer Verschwörung des Auslandes, einer üblen Kampagne der Sozialistischen Internationale oder irgendeiner schwulen Mafia zuschreiben. Also bleibt nur, daß Haider selbst vor die Öffentlichkeit und seine WählerInnen hintritt und sagt: Ja, ich bin schwul/bisexuell und habe es mit Männern getrieben. Das ist in der Tat ein reizvoller Gedanke. Und das würde sicherlich sogar der schwul/lesbischen Sache dienen. Aber es wird wohl nicht passieren.
Wohin es führt, wenn man die Einsicht, Homosexualität ist der Heterosexualität völlig gleichwertig, nicht wirklich verinnerlicht, sondern nur rhetorisch aufgesetzt hat, haben die argumentativen Verrenkungen der meisten JournalistInnen und Politiker wieder einmal deutlich gezeigt, die sich nach dem Outing Haiders zu Wort gemeldet haben. Da hat sich seit meinem Bischofsouting vor fünfeinhalb Jahren leider nichts geändert. Wenn sie in ihren Äußerungen auch stets beteuern, Homosexualität sei nichts Verwerfliches und Homosexuelle dürften unter keinen Umständen diskriminiert werden, so ist das bloß eine politisch korrekte Pflichtübung. Meist folgt dann im selben Atemzug oder Satz eine Kür, die dem diametral entgegensteht: Da werden dann über die Mitteilung, jemand sei homosexuell, Verben verwendet wie bezichtigen und beschuldigen oder Vokabel wie Anschuldigung, Vorwurf, Herabsetzung, Diffamierung, An-den-Pranger-Stellen (die letzten drei stammen etwa vom Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe), Rufschädigung, übelster Terrorismus gegen die Privatsphäre, sexuelle Diskriminierung (die letzten beiden stammen von Herbert Langsner, FORMAT, wobei letztere ja allein deshalb Quatsch ist, weil man darunter die Ungleichbehandlung von Mann und Frau aufgrund des Geschlechts versteht).
Also was jetzt? Man sollte sich schon entscheiden: Ist die Mitteilung, jemand ist schwul, eine Diffamierung oder nicht? Wenn ja, dann sollte man sich das blöde Geschwafel, man sei gegen jegliche Diskriminierung von Homosexuellen, gefälligst sparen. Ist das wirklich so schwer zu kapieren?
Herbert Langsner schoß mit seinem völlig bescheuerten Kommentar im FORMAT # 13 vom 27. 3. überhaupt den Vogel ab, nämlich auch in punkto Bagatellisierung der Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in Österreich durch § 209. Zwar hat er die Outing-Rechtfertigungsgründe offensichtlich verstanden, denn er klopft sie den Fall Haider daraufhin ab, aber seine dabei gezogenen Schlüsse entlarven ihn auch hier: Außer in der ganz anders gelagerten Frage des Schutzalters für Minderjährige hat er sich zum Thema Homosexualität politisch nicht geäußert und auch niemanden wegen seines Sexuallebens attackiert. Es gibt nichts, was jemanden dazu legitimiert, Haiders angebliche private Präferenzen zu beleuchten, wirft Langsner sich für Haider ins Zeug.
Das ist allerdings ein starkes Stück. Was heißt hier: in der ganz anders gelagerten Frage des Schutzalters? Einmal mehr beweist ein vermeintlicher "Top"-Journalist, daß ihm selbst rudimentäres Bewußtsein für die Menschenrechte und die Gleichstellung von Homosexuellen fehlt. Soll er sich doch bitte bei der Europäischen Menschenrechtskommission, dem UNO-Ausschuß für Menschenrechte oder bei der Präsidentin des Europäischen Parlaments, die in dieser Menschenrechtsverletzung auch einen Verstoß gegen den EU-Vertrag sieht, kundig machen, bevor er einen derartigen Unsinn von sich gibt! Aber offenbar sind Menschenrechtsverletzungen an Schwulen auch für ihn nur Lappalien, Kavaliersdelikte, läßliche Sünden. Abgesehen davon, hat Langsner den § 220 (das frühere Informationsverbot), gegen das Haider ebenfalls 1996 im Nationalrat votiert hat, sowie den Umstand vergessen, daß das Nazi-Regime, das Haider mehrfach verharmlost hat, auch tausende Schwule wegen ihrer Homosexualität in KZ ermordet hat.
Nicht minder perfid ist die suggestiv vorgetragene Befürchtung von ÖVP-Stadtrat Marboe, dem Anliegen des Wien ist andersrum-Festivals, für mehr Toleranz und Akzeptanz den Schwulen und Lesben gegenüber einzutreten, werde mit den Outing-Plakaten Jörg ist schwul ein denkbar schlechter Dienst erwiesen. Marboes Entrüstungstirade und seiner Besorgtheit um die Anliegen von Lesben und Schwulen gab dankenswerter Weise gleich Wolfgang Kralicek in seinem Kommentar Homos in der Regierung na und? im Falter # 13 vom 29. 3. kontra. Er bezeichnete Marboes Reaktion als absurd und fragte mit Recht, ob denn nur ein braver Homo auf Toleranz hoffen dürfe. Kralicek hat sich als einziger der jüngsten Outing-KommentatorInnen nicht in den oben genannten Widersprüchen verfangen. Danke!
Kommentar in den LAMBDA-Nachrichten 2/2000 (erschienen am 18. 4. 2000)