Alle wissen Bescheid, aber wenige wollen Jörg Haiders private Vorlieben wahrhaben
Dass Jörg Haider eine Schwester sei, hört der Besitzer von Wiens wichtigstem Schwulen-Café gar nicht gern. "Schwester" sei doch ein Ehrentitel – und den könne man "auf so einen Dreckskerl" nicht anwenden. Die Angelegenheit ist dem Veteran der Bewegung merklich unangenehm. "Wenn das rauskommt", fürchtet er, "bricht hierzulande wieder offene Schwulenfeindlichkeit aus." So als würden dann die Homosexuellen den Ausländern als liebstes Hassobjekt der Haider-Wähler den Rang ablaufen.
Derlei logische Verrenkungen sind am anderen Ufer der Donau kein Einzelfall: Als nach der Nationalratswahl deutsche Journalisten an der wahren Homestory des Wahlsiegers recherchierten, vergatterten Vertreter der SPÖ-nahen Schwulenorganisation SOHO die Szene zum Stillschweigen. Ein Outing Haiders werde den Sozialisten zugeschrieben und könne daher Kanzler Klima schaden. Haiders Steigbügelhalter von der Volkspartei plakatierten dagegen noch vor einem Jahr im Kärntner Landtagswahlkampf ein Haider-Konterfei mit langer Lügennase und übertitelten es unter Verwendung des FPÖ-Logos "Finocchio", was im Italienischen ein Spottname für Schwule ist. Als sich rumsprach, dass die Schwarzen damit eine der Lebenslügen des sich im Wahlkampf als treu sorgender Familienvater stilisierenden Kandidaten tangiert hatten, war hinter vorgehaltener Hand das Gekicher groß, größer aber noch die Zerknirschung der ÖVP-Granden über diesen nach österreichischen Gepflogenheiten gänzlich ungustiösen Lapsus. Am größten war allerdings die Entrüstung des Sprechers der Homosexuellen-Initiative HOSI über die neuerlich dokumentierte Schwulenfeindlichkeit der ÖVP.
So bewältigt man in der Alpenrepublik auch diese Haidersche Zumutung mit klassisch austriaker Dialektik, frei nach Wittgenstein: Worüber man nicht sprechen kann, davon muss man raunen. Solange die Geschichte vom schwulen Jörg nicht amtlich ist, bleibt seine hypnotische Formel "Er hat euch nie belogen" auch auf diesem schlüpfrigen Terrain unangetastet. Dabei hat die Beschäftigung mit den Systemwidersprüchen des Haiderismus mehr als nur feuilletonistische Dimensionen: Dass Österreich als letztes EU-Land homosexuelle Beziehungen von Erwachsenen mit unter 18-Jährigen unter Strafe stellt, ist Folge einer schon länger funktionierenden Koalition der "Familienschützer" von FPÖ und ÖVP. Paradoxerweise könnte gerade der Paragraph, dessen Streichung die EU ebenso vehement wie vergeblich fordert, den zum Thema beredt schweigenden Schattenkanzler der neuen Regierung noch einmal in strafrechtliche Schwulitäten bringen.
Wer sich in Wiens schwuler Szene "off the records" nach Jörgis Feierabendgestaltung umhört, kriegt jedenfalls schnell rote Ohren: Von munteren Landpartien ins junge Gemüse jenseits der nahe gelegenen slowakische Grenze ist da die Rede. Legendär sind die Ausschweifungen der sog. "Buberlpartie", Haiders inzwischen stillgelegter Prätorianergarde, im "Motto", einem notorischen Szenetreff für Klemmschwestern. Verschwitzte Männerbündelei soll dabei meist von heftigem Schneegestöber begleitet worden sein. Gernot Rumpold, Haiders damaliges Lieblingsbuberl, stand jüngst vor Gericht, weil er im Überschwang eines Discobesuchs einem anderen Gast in den Schritt gefasst hatte. Der aktuelle Begleiter des feschen Fuffzigers J.H. ist ein knabenhafter Jungspund namens Gerald Mikscha. Vom langjährigen "Privatsekretär" Haiders soeben zum FPÖ-Bundesgeschäftsführer aufgestiegen, "weicht er nie von seiner Seite" (Kurier) und darf den Führer als Einziger auf dessen ausgiebigen "Studienreisen" in die USA begleiten. Für verständiges Raunen in der Szene sorgt beider innige Männerfreundschaft mit dem dauerhaft in Österreich weilenden Sohn des Obersten Gaddafi, mit dem sie auf Sportveranstaltungen gern die Ehrenloge teilen. Die wohl übelste Nachrede – unter Berufung auf die Stricherszene – lautet jedoch: Der Jörg wolle eh immer nur kuscheln.
Dass solche Schmankerln aus der Vita des unter weltweiter Medienbeobachtung stehenden Strahlemanns aus Kärnten bislang nur in die "Oral History" eingegangen sind, liegt auch an einem konkreteren Bedrohungsszenario: Wer immer mit harten Fakten aufzuwarten wüsste, kommt schnell auf die Sorge um Leib und Leben zu sprechen und verweist auf Haiders vorzügliche Beziehungen zum Polizeiapparat und anderen dunklen Mächten. Zur endgültigen Exkulpation wird die Fama aufgetischt, die schmutzige Wäsche vom sauberen Jörg lagere doch längst im Tresor von News und werde erst aufs Cover gedruckt, wenn der Mann wirklich gefährlich werde, um die Haider zu verdankenden Auflagenmillionen so lange wie möglich abzuschöpfen.
JOCHEN HERDIECKERHOFF
taz Nr. 6098 vom 21.3.2000 Seite 20 Die Wahrheit 155 Zeilen
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