Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs


Heil Hitler – Huch Haider

Elfriede Jelinek sieht hinter Haiders faschistoider Politik homoerotische Neigungen und verheddert sich damit in einer antiquarischen Denkschlaufe

von Thorsten Stecher

Ist die FPÖ, die Clique um den Rechtspopulisten Jörg Haider, ein homoerotischer Männerbund? Oder, noch forscher formuliert:

Liebt der Chef der vom Volksmund so genannten “Buberlpartie” neben Österreich, Frau und Kinder auch Männer? Hierzulande klingt die Frage unerhört. Der Wiener Polit- und Journalistenszene ist sie bestens bekannt. Zuletzt hat sie die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek ins Feld der politischen Auseinandersetzung geführt. Dazu später mehr.

Seit Jahren bereits sind die sexuellen Präferenzen des Jörg Haider Gesprächsthema in Österreich. Und das nicht nur aus Lust an Neckerei. In den Wiener Kaffeehäusern, im Kreis der Haider-Gegner fügt man die wiederholten Hinweise, unter anderem aus der Wiener Schwulenszene, zu einem durchaus ernst gemeinten Indizienprozess. Schäumt die Gerüchteküche zu Haiders Männerliebe allzu sehr, lupft auch die Wiener Presse gern einmal ein Deckelchen.

Im Januar 1999 titelte “News”: “Haider: Liebe zu Gaddafi entdeckt”. In seiner “Top Secret”-Rubrik brachte das Wiener Nachrichtenmagazin eine eindeutig zweideutige Meldung zur Freundschaft zwischen dem in Wien studierenden Sohn des libyschen Revolutionsführers und dem Chef der FPÖ.

Jörg Haider

Jörg Haider in verdächtiger Pose: Das Bild wurde 1994 in “News” veröffentlicht

Im November berichtete “Profil” über die innige Beziehung Haiders zu seinem damaligen Sekretär und jetzigen Bundesgeschäftsführers der Freiheitlichen, Gerald Mikscha: “Seit neun Jahren ist Mikscha […] nun an der Seite Haiders. Und das beinahe jeden Tag. Politische Beobachter können sich kaum daran erinnern, wann sie Haider zuletzt ohne seinen Sekretär gesehen haben. ” Man weiss genau, wovon man redet. Man weiss aber auch, wie brenzlig das Thema ist.

Dass es bis heute zu keinem eigentlichen Outing von Jörg Haidergekommen ist, liegt – so Kurt Krickler von der Homosexuellen Initiative Wien – weniger am Mangel avon beweisen als an einer Art “Agreement”. Bis heute habe sich Haider gegenüber Schwulen noch nie negativ geäussert. Viele sehen keinen Grund, ihm ausgerechnet mit dem Vorwurf der Homophilie in den Rücken zu fallen. So blieb das Bedürfnis, Haiders sexuelle Veranlagung vom Szenestammtisch weg an die grosse Glocke zu hängen, bis vor kurzem klein.

Nun hat Elfriede Jelinek das Blatt vorm Mund zerrissen. In einem Interview mit der “Berliner Morgenpost” liess sie vorletzten Sonntag verlauten, Haider spiele “bewusst mit homophilen Codes, natürlich ohne sich wirklich als homosexuell zu bekennen”. Mit Hitler sei das ähnlich gewesen. Auch Haider arbeite, “wie alle faschistoiden Bewegungen, mit dem ästhetischen Körperkult, mit dem homoerotischen Männerbund, der sich im Sport manifestiert, es ist sozusagen der erlaubte sexuelle Akt mit dem braun gebrannten jungen ‘Führer'”.

Allzu knapp verhülltes Outing
Jelineks Worte sorgten international für Aufsehen. Konservative Blätter wie die Hamburger “Welt” und die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” reagierten empört. Die “FAZ” stellte Jelineks Äusserungen zumindest indirekt in eine Reihe mit Denunzianten im Dritten Reich. Traditionell links-liberale Blätter wie die “Frankfurter Rundschau” übernahmen den Inhalt des Interviews im Wert einer Agenturmeldung und enthielten sich eines Kommentars. “The Guardian” brachte den Rücktritt Haiders als FPÖ-Parteipräsident mit dem Gerücht um dessen Homosexualität in Verbindung. Elfriede Jelinek selbst scheint von den heftigen Reaktionen überrascht worden zu sein. Auf Anfrage der “Weltwoche”, warum sie sich in der “Berliner Morgenpost” derart vorgewagt habe, antwortet sie: “Ich möchte mich dazu nicht äussern, es ist mir zu heikel.” In einem Nachsatz scheint es ihr dennoch wichtig klarzustellen, dass sie ja nicht von Haiders “Homosexualität” gesprochen habe, sondern von “der Homoerotik von Männerbünden allgemein”.

Das klingt ein wenig verwirrt und ist im Grunde wohl auch nur die Bemühung um eine halbherzige Ausrede. Aufgrund des besagten langjährigen Gemauschels um Haiders sexuelle Neigung musste sie davon ausgehen, dass man ihre Worte als allzu knapp verhülltes Outing versteht. Zumal ihr Versuch, faschistoides Verhalten und schwules Auftreten in einen Zusammenhang zu bringen, eindeutig auf den Menschen Haider zielt.

Und dennoch kann man Jelineks Argumentation nachvollziehen. Nicht weil sie besonders erkenntnisreich wäre, sondern weil sie einer bis heute, besonders unter den Linken, beliebten Denkschlaufe entspringt. Sie ist so alt wie der Faschismus selbst.

Was in Vergessenheit geriet, ist die Tatsache, dass sich die SA als faschistische Organisation bis Ende der dreissiger Jahre mit dem steten Vorwurf auseinander setzen musste, sie sei im Grunde nichts anderes als ein Männerbund zum Ausleben homosexueller Sehnsüchte. Vor allem die linksliberale Presse versuchte immer wieder – zuerst noch in Deutschland, später im Exil –, die Nazis mit homophoben Argumenten zu diskreditieren. Im Zusammenhang mit der Röhm-Affäre veröffentlichte die sozialdemokratische “Münchner Post” im Juni 1931 einen Artikel mit dem Titel “Warme Brüderschaft im Braunen Haus. Das Sexualleben im Dritten Reich”. Der Berliner Historiker Alexander Zinn hat all das in seiner Untersuchung “Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten. Zu Genese und Etablierung eines Stereotyps” dargestellt.

Obwohl die Vorstellung vom “homosexuellen Nazi” aus dem öffentlichen Gedächtnis weitgehend verdrängt wurde, hat sie sich doch bei einigen linken Theoretikern, in dessen Tradition sich Jelinek wohl sehen würde, bis in die späten achtziger Jahre gehalten. Zu den bekanntesten zählen Klaus Theweleit und Nicolaus Sombart.

Theweleits Studien “Gewalt und Sexualität” sind ebenso vielfältig wie illuster. In einem Punkt tradiert aber auch er stereotypes Denken. In einem wenig beachteten Kapitel seines Buches “Männerphantasien” vertritt er die These, dass sich die Nazi-Elite als schwuler Bund verstand, der die Homosexualität nur deshalb so vehement ächtete, um einen “Bereich der Übertretung” zu schaffen. Eine Sphäre, “in die eingeweiht und aufgenommen zu werden, gleichbedeutend war mit einer Zugehörigkeit zum Bereich des Geheimen wie der Machtelite”. Die Behauptung, die SS sei eine versteckt jüdische Vereinigung gewesen, in der akzeptiert wurde, wer sich mit besonders langen Schläfenlocken zu erkennen gab, wäre ähnlich verquer.

Sombart drehte den Gedanken einer strukturellen Verbindung von Homosexualität und Nationalsozialismus noch weiter. In einem Artikel für die Berliner “Tageszeitung” versuchte er 1987, eine “Internationale der warmen Brüder” für die britische und französische Appeasement-Politik verantwortlich zu machen. Denn in Grossbritannien wie in Frankreich sei “die Sympathie für den Faschismus auf sonderbare Weise Hand in Hand mit homosexuellen Neigungen” gegangen.

Doch ist es nicht nur die harte Theorie, die dem Stereotyp vom homosexuellen Faschisten nachhängt. Auch die Popkultur pflegt sie als probaten Ansatz zur Erklärung des Bösen. Zuletzt war es der als besonders sozialkritisch gelobte amerikanische Kinoschlager “American Beauty”, der uns einen ehemaligen Marineoffizier zeigt. Der Mann sammelt mit Hakenkreuzen gestempeltes Porzellan und schweIgt in Hasstiraden und Gewalttaten gegen alles “Anormale”. Zum Schluss des Filmes will er seinem Nachbarn an die Wäsche gehen.

Das Bedürfnis, Jörg Haiders Zauber zu entlarven, ist mit seiner inoffiziellen Regierungsbeteiligung deutlich gewachsen. In den letzten Wochen versprachen sich vor allem deutsche Fernsehjournalisten viel davon, ihn zu ihren Talk-Runden einzuladen. Das Ziel hiess Demaskierung seiner Politik. Das Ergebnis war fatal. Haider verliess den Saal in sämtlichen Fallen mit blitzblankem Heiligenschein.

Auch Jelineks Versuch einer Entschleierung beruht – vollkommen abgesehen von Haiders tatsächlicher sexueller Orientierung – weniger auf schlagenden Argumenten als auf tiefsitzenden Vorurteilen.

Zu fragen wäre auch, was eine öffentliche Diskussion um einen vermeintlich schwulen Haider bewirken würde. Im Oktober 1997 outete das Schweizer Schwulenmagazin “ak” den Vizepräsidenten der Jungen SVP. Geschadet hat es Thomas Fuchs bis heute nicht.

Die Weltwoche, Nr. 10, 9. März 2000

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