Die Hebräische Universität setzt auf autonomen wissenschaftlichen Gedankenaustausch. Eine gefährdet gewesene Österreich-Konferenz begann am Sonntag.
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von Hans Haider
Sonntag in Jerusalem. Johannes Paul II. auf dem Tempelberg, an der Klagemauer, in der Grabeskirche. Während ein schwerer Militärhubschrauber bei Einbruch der Dunkelheit den Papst zum El-Al-Jumbo nach Tel Aviv hinunterfliegt, streben 150 Wissenschaftler einem von Belgien gestifteten Haus auf dem Campus der Hebräischen Universität zu. Die Konferenz "Transfigurations of an Identity – Austria in the 19th and 20th Century" beginnt – die breitest hie jemals konzipierte Österreich-Thematisierung.
Die Hebrew University, heuer 75 Jahre alt, hat sie gemeinsam mit der Universität Wien, mit dem Altrektor Alfred Ebenbauer, vorbereitet. Noch in politisch sonnigeren Tagen, als der österreichische Verein der "Freunde der Hebräischen Universität Jerusalem", voran Ellen und Peter Landesmann, die Einrichtung eines "Austrian Centers" fixieren konnte. Das ist kein Gebäude, kein Labor, das man durch das Durchschneiden eines Bandes eröffnen könnte – sondern nur der organisatorische Rahmen für eine Dauerkooperation zwischen der Hebräischen und allen österreichischen Universitäten. In der Statistik der Auslands-Zusammenarbeiten der österreichischen Forschungseinrichtungen liegt übrigens Israel weit an der Spitze.
Mit "Transfigurations of an Identity" sollte das neue Kooperations-Netzwerk groß offiziell gefeiert werden. Darauf – konkret: auf den Auftritt österreichischer Spitzenbeamter aus dem Außen- und Bildungsressort – wollte die Hebräische Universität verzichten; nicht aber auf die Wissensvermittlung und die Diskussion der Teilnehmer aus USA, Deutschland, Israel.
Einige Gäste hatten aus politischen Kalkülen abgesagt. So Österreicher, die ihre aktuelle Kritik an der Heimat nicht im Ausland vortragen wollten. Und auch der Pariser Österreich-Spezialist Jacques Le Rider, der schon den bevorstehenden Weltkongreß der Germanistik in Wien auf einen einzigen Protesttag gegen die Regierung reduziert haben wollte.
Zum Politisieren am inoffiziellen Rande des wissenschaftlichen Abends hatte die Sonntagausgabe der "Jerusalem Post" das Thema vorgegeben – übrigens noch ohne Bezug auf das Tagungsziel, die "Transfigurations of an Identity" (die man als "Wandlungen", aber auch "Verklärungen" übersetzen kann): Der Artikel trug die Überschrift "Reports: Austria’s HAIDER is a homosexual" und berief sich auf die Berliner "taz" und den Wiener "Standard" als Quellen.
Lob, Dank – Warnung
Zurück in den Hörsaal! Zu Beginn intonierte das Haydn-Trio Eisenstadt eine Piéce von Franz Mittler (1893 bis 1970), dem musikalischen Betreuer von Karl Kraus in dessen letzten Lebensjahren. Zum Schluß des Eröffnungsabends erwies man mit "Jeruschalajim" von René Clemencic den Gastgebern die Reverenz. Dazwischen: Lob, Dank, Gruß – und Besinnung, Ratlosigkeit, Warnung, Vorwurf. "Der dunkle Schatten ist zurück", kommentierte Yair Zakovitch, Dekan der Faculty of Humanities, die Lage der österreichischen Nation – "aber Kultur kann solche Schatten vertreiben". Menahem Megidor, Präsident der ganzen Universität, sprach von "Wolken" über Österreich – aber der autonome akademische Gedankenaustausch will dennoch fortgesetzt werden; darum: "Frank and open discussion – go on!" Arthur Mittler, neuer Vizerektor der Wiener Uni, für Auslandskontakte zuständig, dankte besonders herzlich. Unter den Zuhörern zirkulierten Kopien des Österreich-Appells von Krzysztof Michalski, Karl Schwarzenberg und Lord George Weidenfeld.
Als dann der eigentliche Partner des Vorhabens auf israelischer Seite, der Historiker Robert Wistrich, die Eröffnungsrede des emeritierten Wiener Historikers Gerald Stourzh einbegleitete, spürte man auch die menschliche Wärme und Zuversicht, ohne die in so heiklen Schmerzzonen der Geschichte nicht zusammengearbeitet werden kann.
Wistrich, auch Autor einer Studie über die Juden Wiens (im Böhlau-Verlag), erinnerte daran, daß Gerald Stourzh schon zum vierten Mal in Jerusalem spreche; noch jedesmal war die politische Stimmung katastrophal: 1982 gab es Krieg, 1989 tobten die Waldheim-Kämpfe, 1996 bombte die Hamas – und nun eben jene Causa, die Wistrich in seinem Schlußvortrag am Donnerstag behandeln wird ("The HAIDER Phenomenon") und der er bereits am 3. März im "Times Literary Supplement" einen langen Kommentar gewidmet hat (samt der Frage: "Warum ist es immer nur die Rechte und nie die Linke, die wegen Rassismus verurteilt wird?").
Krise hin, Krise her, die wissenschaftlichen Brücken sollen nicht gesprengt werden. Voll hoher Achtung sprach Wistrich vom Vater Herbert Stourzh, einem "protestantischen Pazifisten", der schon 1934 den Nazis "Nationalbestialismus" vorgeworfen hat und nach 1938 von der Wiener Gestapo drangsaliert wurde. Zu den Gefahren heute zitierte er Hebbel: "Österreich ist die kleine Welt, in der die große Probe hält."
Gerald Stourzh – seine Tochter Katharina arbeitet als Pressesprecherin von Kunststaatssekretär Morak – beleuchtete das Zeitalter des Liberalismus in Österreich als Epoche der Emanzipation und Assimilation der Juden. Nichts war folgenreicher für die volle Gleichberechtigung als die Verfassung von 1867, die dann auch "bürgerliche Doktoren" in die Regierung brachte, darunter zwei Konvertiten. Und doch blieb vieles trockenes Papier. Etwa zwang das Fehlen der Ziviltrauung jüdische wie christliche Bürger zum Wechsel in die "andere" oder gar keine Konfession. Austritte aus der jüdischen Gemeinschaft wurden vielen anempfohlen, die im Beamtenstand Karriere machen wollten. Und schon 1865 warnte der Wiener Oberrabbiner Jellinek vor einer neuen Judenfrage, in der es nicht mehr um die bürgerlichen Rechte, sondern um das jüdische Menschenwesen als ganzes gehe.
DIE PRESSE, Dienstag 28. März 2000
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