Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs


Wer hat Angst vor Haider?

Österreichs machtgierige Konservative trauen sich zu, den Rechtsausleger Jörg Haider in einer Koalition zu bändigen – die Intellektuellen im Lande sehen braun

von Niklas Frank

(Relevante Passagen fett hervorgehoben)

Jetzt ist die Ausländerfeindlichkeit regierungsfähig geworden", sagt Bülent Öztoplu, 40, Gründer und Leiter von "Echo", einem Verein für die Integration von Ausländern in die österreichische Gesellschaft. "Und das werden wir auf der Straße merken."

Zwar will er nicht klein beigeben und stattdessen eine Aufklärungsoffensive starten, doch fürchten tut er sich schon vor dem, was nach der Bildung einer Koalitionsregierung zwischen ÖVP und FPÖ zur alltäglichen Wirklichkeit werden könnte: "Man wird uns öffentlich anpöbeln. Und wenn wir einem alten Menschen in der Straßenbahn einen Platz anbieten, wird uns noch öfter als bisher schon statt eines ,Dankeschöns` ein ,Wird auch Zeit, dass ihr euch schleicht` entgegenschallen."

Der Türke, dessen Eltern einst nach Österreich kamen, steht mit seiner Verzweiflung nicht allein. Es ist das intellektuelle Österreich, das noch nicht zu fassen vermag, was da urplötzlich die Grundfesten seines Staates erschüttert. War doch der erneut ausgehandelte Koalitionsvertrag zwischen den bisherigen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP nach der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999 unterschriftsreif. Doch ÖVP-Obmann und Außenminister Wolfgang Schüssel, der noch vor der Wahl versprochen hatte, in die Opposition zu gehen, sollte die ÖVP nur drittstärkste Partei werden, mochte seine letzte Chance nicht auslassen, mithilfe der FPÖ Bundeskanzler zu werden.

Deren Chef Jörg Haider baute sich in den 14 Jahren, seit er die Partei im Handstreich übernommen hatte, mit zahllosen nazifreundlichen und ausländerfeindlichen Äußerungen zum unberechenbaren rechtsradikalen Populisten auf, immer bereit, auch die niedrigsten Instinkte zu bedienen, sofern es nur Erfolg brachte.

Den heimste er Wahl um Wahl ein, zurzeit liegt er mit seiner Partei in den Meinungsumfragen anlässlich der neuen Koalitionsverhandlungen erstmals in der Beliebtheit vor der seit Jahren führenden SPÖ. Ein Land wendet sich ab von Europa. Da hilft offensichtlich auch keine Kraftanstrengung des französischen Präsidenten Jacques Chirac, kein Mahnwort des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder oder des derzeitigen portugiesischen EU-Ratspräsidenten Antonio Guterres. Da hilft keine Drohung des Salzburger Festspielleiters Gerard Mortier, sein Amt noch in diesem Jahr niederzulegen.

Der Kärntner Alpenkönig Jörg Haider scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Nach den Jahren der Isolation durch einen trotzig gewählten Bundespräsidenten Kurt Waldheim, der sich heillos lügend in seiner Nazi-Vergangenheit verstrickt hatte, drohen dem Land nun erneut Jahre der Ausgrenzung – für Künstler und Intellektuelle Isolationsfolter.

ELFRIEDE JELINEK, Österreichs berühmteste Dichterin und Dramatikerin, sitzt im Wiener "Cafe Korb" und macht sich Mut: "Von mir ist erbitterte Feindschaft zu erwarten. Ich werde wie eine Kreuzotter zuschnappen."

Ihre Augen sind gerötet, sie leidet sichtbar, hat den ganzen Tag noch nichts gegessen, analysiert bitter Haiders Erfolg: "Es gibt in ganz Europa keinen so charismatischen Führer wie ihn. Weil er imstande ist, die Macht erotisch aufzuladen. Jetzt kann er endgültig sein homoerotisches System verwirklichen, seinen homoerotischen Männerbund."

Eine verschwiemelte Erotik, sagt sie, der sich so viele schon bei Hitler hingegeben hätten, ein Heidegger zum Beispiel, wenn er Hitlers schöne Hände beschrieb oder dessen Augen.

"Es ist so entsetzlich, dass das schon wieder von uns ausgeht." Elfriede Jelinek sieht das, was sie in ihrem am Burgtheater aufgeführten "Sportstück" versinnlichte, auf entsetzliche Weise in der Alltäglichkeit Österreichs verwirklicht: "Der Ungeist setzt sich durch, das homoerotisch Männliche setzt sich gegen die Frau durch, gegen das Schwache, diese Kitzbühelisierung Österreichs, diese Geistfeindlichkeit, die mit Kinderscheck und Mutterkreuz arbeitet und der Frau wieder nur den Platz der Gebärenden erlaubt."

Sie glaubt nicht, dass sich Haider trotz Distanzierung von seinen "schlimmen Sätzen" über die gute Beschäftigungspolitik im Dritten Reich, seine Verniedlichung von KZs zu "Straflagern", die Gleichsetzung von Churchill mit Hitler und Stalin oder die Ehrenrettung von SS-Soldaten wirklich ändern kann. "Das quillt aus ihm wie Kotze, wenn er nur den Mund aufmacht", ekelt es sie. "Das ist seine Kindheit bei den verfemten Nazi-Eltern, das sind seine Jugendjahre auf den Paukböden der Schlagenden Verbindungen. Doch mich interessieren seine Kindheitstraumata nicht, wenn er dermaßen minderheitenfeindlich ist und aggressiv die niedrigsten Instinke bedient."

Nur eines macht Elfriede Jelinek Hoffnung: "Keiner von uns wird sich denen anbiedern."

Das sieht ein paar Gassen weiter Andre Heller nicht so. In seinem Palais – in dem Mozart gespielt hatte und Napoleon zu Gast war, in dem sich allerdings auch, was Heller "mit der Geschichte des Hauses wieder versöhnte", die wenigen mutigen Widerständler konspirativ trafen, bis sie von einem Burg-Schauspieler verraten und hingerichtet wurden – liegt er traurigen Auges auf der Couch, schlürft Tee und sagt mit samtener Stimme Hartes: "Haider wird zum Prüfstein für die Intellektuellen und Künstler dieses Landes. Sie werden auf ihren Opportunismus hin abgeklopft. Ich höre schon ihre anbiedernden Sätze: ,Es ist doch besser, wir machen das, als irgendwelche anderen.` Oder: ,Jetzt soll der Haider doch mal beweisen, was er kann.` Alle werden sich schnell arrangieren."

Er, der international arbeitet und noch nie vom österreichischen Staat abhängig war, gibt sich gelassen: "Ich bin so privilegiert, dass dieser Gestank von Haiders Menschenverachtung nicht in mein Leben hineinreicht."

Österreich habe eine "Bewusstseinspause" genommen, in die Haider hineingestoßen sei, ein Mann, der nicht nur sich selbst verachte, "weil er weiß, dass er niederträchtig ist", sondern auch Österreich, "sonst hätte er doch Lust, die Menschen zu verfeinern".

"Doch Haider entscheidet sich immer für das Plakative, für das Grauenhaftere."

Da baut Andre Heller lieber Gärten, "in denen man zu sich finden kann".

"Schon 1986 war klar: Wer Waldheim sät, wird Haider ernten", kommentiert Doron Rabinovici, 37, österreichischer Jude, pfeilscharfer Kulturkritiker, Historiker und Schriftsteller, die desolate Lage des Acht-Millionen-Volkes. Er sieht Österreich um ein Jahrhundert zurückgeworfen, in jene Zeit, als der glühende Antisemit Karl Lueger in Wien als Bürgermeister herrschte.

"Damals lief der junge Hitler durch Wiens Straßen und wurde von Lueger stark beeinflusst. Wir wissen nicht", fährt er mit Verzweiflung in der Stimme fort, "welcher Student jetzt gerade durch Wiens Straßen läuft und an Haider lernt, wie erfolgreich man Menschen zu einer menschenverachtenden Politik aufhetzen kann."

"Jetzt bin ich fett und gesünder geworden, weil ich das Rauchen aufgegeben habe", mault der 55-jährige Robert Schindel, österreichischer Jude und Lyriker, dessen Eltern Auschwitz überlebten, "und jetzt macht der Zorn wieder alles kaputt."

"Das Klima wird unappetitlich", fürchtet er. "Man wird einen guten Magen brauchen, um die nun über uns hereinbrechende Kultur- und Ausländerpolitik ertragen zu können. Und die hier lebenden Ausländer müssen noch mehr als nur einen guten Magen haben. Die müssen auch schnell rennen können."

DOCH DANN REBELLIERT ER: "Man muss ja nicht seinen Magen ruinieren. Man kann ja ausspucken. Wir werden das auf einer großen Demonstration tun."

Die wird schon geplant, soll zwischen dem 12. und 19. Februar stattfinden. Ein Aufstand des intellektuellen Österreichs, auf den neben dem Ausland auch der gescheiterte Bundeskanzler Viktor Klima sehnlichst wartet.

Am vorigen Wochenende kam er dem _ noch mit strahlender Herzlichkeit entgegen, ein bestaussehender nordischer Recke mit einem Gebiss zum Walhallaknacken, doch das wird ihm nicht mehr gelingen. Wolfgang Schüssel, der Schuft und ÖVP-Chef, stößt ihn ins Nichts der Opposition. Im geschichtsträchtigen Kanzlerbüro, in dem schon Leopold Figl und Julius Raab sich darüber freuten, dass ihnen Hitler immerhin die Juden abgenommen hatte, in dem der Jude Bruno Kreisky seine feinen und groben Sottisen gegen Israel braute, Franz Vranitzky seine total gescheiterte Ausgrenzungspolitik gegen Haider mit Kirschenlippen verkündete, sitzt Viktor Klima nun auf Abruf und schlägt das Pfauenrad des Großbeleidigten.

"Ich bin enttäuscht. Weil ich getäuscht wurde", grollt er.

Also richtig gelinkt von diesem Schüssel?

"Das ist mein Eindruck. Das ist mein Eindruck." Gleich zweimal sagt er es, kleines Zeichen für den hohen Grad der Verstörtheit dieses sonst so kontrollierten Mannes. "Das war meine schlimmste Stunde als Bundeskanzler", fügt er hinzu und knautscht dabei die Visitenkarte des Reporters in seinen großflächigen Seglerhänden, als wär sie Schüssels Hals. Er hätte es, fährt er fort, sehr leicht gehabt, nach der Wahl mit Haider eine Koalition einzugehen. "Aber ich habe entschieden, es nicht zu tun, weil es zwar um die Frage der Macht, aber auch um Moral und Anstand geht."

Natürlich habe er die negativen Reaktionen des Auslands vorausgesehen. Und die würde, so Klima säuerlich spottend, sein Außenminister Schüssel ja wohl auch geahnt haben. "Aber bitte …", verstummt er.

Befragt nach seiner Einschätzung, ob denn Schüssel nur die Marionette Haiders sein wird, meint er, kaum verhüllt durch diplomatische Vorsicht: "Eine Vereinbarung, die drittstärkste Partei den Kanzler stellen zu lassen, macht doch für Haider nur dann Sinn, wenn langfristig das Auswechseln des Kanzlers vereinbart wurde."

Klima lässt schon packen, um alsbald aus dem braun getäfelten Knotenpunkt aller österreichischen Politfäden zu verschwinden. "Die ziehen das ganz schnell durch", sagt er. "Die sind zum Erfolg verdammt." Und lässt dabei, menschlich verständlich, spüren, wie sehr ihm ein Misserfolg des neuen Macht-Pärchens gut tun würde. Da täuscht auch nicht seine beim Abschied nachgereichte Versicherung über den Schmerz des Machtverlusts hinweg: "Ich kann mir noch allmorgendlich im Spiegel in die Augen sehen. Ich bin einen geraden Weg gegangen." "Ich" betont er dabei jeweils extra.

Selbst der eisige Wintersturm, der über den Ballhausplatz fegt, scheint Mitleid mit Klima zu haben: Hat er doch die Fahne Österreichs über dem Kanzleramt so um die Stange gewickelt, dass sie wie auf Halbmast weht.

Die Pracht des Ballhausplatzes noch im Hirn, steht man vor dem eher kargen Gebäude der Landesregierung am Arnulfplatz in Klagenfurt, der Hauptstadt Kärntens. Hier also pulst die Zukunft Österreichs. Hier also wirkt der Mann, von dem es heißt, er würge die Demokratie zu Tode. Auf dem Rasen steht ein rosa Hinkelstein, dessen blank geputzte Inschrift sofort zum Aha-Erlebnis führt. Haider will also die Karriere Arnulfs von Kärnten wiederholen, dessen Lebensstationen zwischen 850 und 899 eingemeißelt sind: "876 Herzog in Karantanien, 887 Ostfränkischer König, 896 Römischer Kaiser".

Arnulf alias Haider kann den Stein von seinem Büro aus sehen. Dort sitzt er, total entspannt, ein Sinnbild sahneschleckender Selbstzufriedenheit. Gut schaut er aus mit seinen 50 Jahren, sportlich, drahtig, eine Spur zu knöchrig vielleicht. Um ihn herum flitzen ebenfalls gut aussehende junge Männer, Jörgls viel zitierte "Buberlschar".

IHR BOSS GIBT SICH CHARMANT und lässt doch etwas spüren, was Armin Thurnher, Verleger des Wiener "Falter" und Autor des glänzenden Österreich-Sezier-Buches "Das Trauma, ein Leben", dem _ warnend mit auf den Weg gab: "Haider hat etwas Popstarartiges und strahlt wie Mick Jagger und die anderen etwas untergründig Gefährliches aus: Sie alle signalisieren Verbotenes. Da ist immer noch ein bisserl Aufstand und Blues und Baumwollfeld drin. Und das gibt ihnen diesen gefährlichen Sex. Das Baumwollfeld des Haider ist der Nationalsozialismus, ein Milieu, dem er bis heute die Treue hält."

Der untergründig Gefährliche mit dem Österreich betörenden Sex-Appeal schmettert gekonnt alle unangenehmen Fragen ab. Er versteht mitnichten die Angst eines Bülent Öztoplu: "Ich bin über diese Aussage verwundert, denn gerade die hier lebenden Ausländer sollten doch ein Interesse daran haben, dass wir unsere Ausländerpolitik durchsetzen, das heißt: Kein weiterer Zuzug, sondern Integration der bereits in Österreich lebenden Ausländer."

Robert Schindel attestiert er Völlerei: "Wer 30 Jahre in der Sonne der Macht gestanden ist und sozialistische Kulturpolitik unterstützt hat, für den ist das sicherlich eine massive Veränderung. Ich bin hier in Kärnten Kulturreferent, und kein einziger Künstler ist bisher ausgewandert. Alle sind sehr zufrieden."

Elfriede Jelineks Aussagen hält er für "dumm", denn er, Haider, wende sich mit seiner Politik gerade nicht an die "Herzeigefrauen, die Promis, die sich emanzipiert haben, sondern an die Masse im Volk".

Verräterisch in Grammatik und Namenssetzung sein Fazit auf nachhakende Fragen zur Minderheiten-, Ausländer- oder Kulturpolitik: "Wenn die ÖVP, wenn Jörg Haider einmal die Möglichkeit hat zu zeigen, wie sie wirklich regieren, werden diese ganzen bösen Vorurteile in sich zusammenbrechen."

Will er Kanzler werden, ist die sich logisch anschließende Frage. Jörg Haider lehnt sich vor. Er lächelt mit einer so mitreißenden Bosheit, dass man gerne der eigenen Schadenfreude über einen moral- und gewissenlos agierenden Wolfgang Schüssel Raum gibt. Und mit diesem kehligen Ton des Bärentalbewohners schmelzt er den Satz hin: "Ja, wenn es sich ergibt, werde ich nicht ablehnen."

Es wird sich ergeben. Und der arme Schüssel wird gar nicht so viele Pullover finden, um sich dagegen warm anziehen zu können.

Dennoch ist dies der letzte Schritt für Haider, der schwierigste. Er muss die "vorsichtige Integration in der letzten politischen Ebene" bewerkstelligen. Will heißen: Das Ausland kann die Koalition nicht mehr verhindern.

Folgerichtig wechselt er an dieser Stelle des Interviews in den Bibelton, was wiederum von seiner verblüffenden, jeden Widerstand niederwalzenden Selbstsicherheit zeugt: "Mit diesem letzten Schritt des Einzugs in eine Bundesregierung ist sozusagen der Kreuzweg der Freiheitlichen beendet und hat sozusagen die demokratische Erlösungsgeschichte Österreichs eine neue Facette bekommen."

Wer mag Haiders gefährlichen Erlösungstrip stoppen? Plötzlich kann er sich nicht mehr vor Grußadressen retten. Sogar hoch droben auf dem Berg, auf dem die FPÖ ihrem Parteichef den 50. Geburtstag ausrichtet, entbietet ihm ein untertänigst salbadernder Redakteur der "Salzburger Nachrichten" öffentlich die innigsten Glückwünsche – "auch im Namen aller meiner Kollegen" .

Kann etwa das ihn umgebende "Geschmeiß", so ein SPÖ-Politiker, ihn zu wirklich demokratischen Umgangsformen zwingen? Kaum, wenn es in Gestalt des Klagenfurter FPÖ-Stadtchefs Christian Schneider dem lieben Geburtstags-Jörg Eintrittsgutscheine für die Salzburger Festspiele mit dem Hinweis überreicht: "Damit der Herr Mortier waaß, wos laaft."

Kaum, wenn ihm der Wiener FPÖ-Chef Hilmar Kabas sein Geschenk lauthals mit den Worten überreicht: "Wir Wiener haben ja die Fremden gern, doch noch lieber haben wir sie, wenn sie wieder weggehen."

stern #6, 3. Februar 2000

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