„Wir begrüßen den diese Woche vom Justizministerium in Begutachtung geschickten Entwurf für ein Bundesgesetz zur Tilgung von Verurteilungen nach den mittlerweile aufgehobenen anti-homosexuellen Strafrechtsparagrafen“, erklärt Christian Högl, Obmann der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien.
„Das geplante Gesetz ist notwendig, um ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2013 umzusetzen, der die Nicht-Löschung von Verurteilungen nach § 209 StGB (höheres Mindestalter für homosexuelle Handlungen unter Männern) aus dem Strafregister als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention wertete und Österreich deshalb verurteilte.“
Umfassende Lösung
„Besonders freut uns in diesem Zusammenhang, dass der jetzt vorgelegte Gesetzesentwurf über das EGMR-Urteil hinausgeht und – einer jahrelangen Forderung der HOSI Wien nachkommend – auch die Tilgung von Verurteilungen aufgrund des bis 1971 gültigen Totalverbots der männlichen und weiblichen Homosexualität (§ 129 I b StG) sowie des Verbots der männlichen homosexuellen Prostitution (§ 210 StGB), das 1989 aufgehoben wurde, vorsieht“, so Högl weiter. Denn letztere waren – im Gegensatz zum § 209 StGB, der 2002 vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben wurde – vom Parlament im Rahmen der Weiterentwicklung der Rechtsordnung und ihrer Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel abgeschafft worden. Und in dieser Hinsicht macht der EGMR in besagtem Urteil leider ausdrücklich einen merk- und fragwürdigen Unterschied: Der bloße Umstand, dass eine Verurteilung auf einer Strafbestimmung beruht habe, die später aufgehoben worden sei, sei normalerweise irrelevant für die Evidenzhaltung oder Löschung der Verurteilung im Strafregister, da diese im wesentlichen eine historische Tatsache betreffe (Randnummer 79). Die Sache verhalte sich aber ganz anders bei Verurteilungen nach § 209, da dieser – wie erwähnt – vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erkannt worden sei. Der Gesetzgeber, so der EGMR, hätte auf diesen besonderen Umstand differenziert reagieren müssen, etwa durch eine „Ausnahme von der allgemeinen Regel“ in Sachen Löschung von Verurteilungen aus dem Strafregister (Randnummer 81). „Es ist erfreulich, dass der vorgelegte Entwurf diese Unterscheidung nicht aufgreift, sondern die Tilgung von Verurteilungen nach sämtlichen anti-homosexuellen Strafrechtsbestimmungen vorsieht – egal, unter welchen konkreten Umständen sie schließlich abgeschafft worden sind“, so Högl abschließend.
Einzelfallüberprüfung vertretbar
„Wir unterstützen auch ausdrücklich die vorgesehene Einzelfallprüfung auf Antrag sowie die Absicht, nur solche Verurteilungen zu tilgen, denen ein Verhalten zugrundeliegt, das auch heute nicht mehr strafbar ist“, fügt HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler hinzu. „Eine generelle und automatische Tilgung sämtlicher Urteile nach diesen drei Paragrafen ist nicht vertretbar, da nach diesen Bestimmungen auch Tathandlungen bestraft wurden, die heute noch strafbar sind. Das bis 1971 geltende Totalverbot wurde etwa auch auf homosexuellen Missbrauch Unmündiger (Unter-14-Jähriger) und Vergewaltigung angewendet. Ebenso sind unter den Verurteilungen nach § 209 StGB solche wegen geschlechtlicher Nötigung des jugendlichen Opfers oder wegen eines Tatbestands, der auch heute noch unter Strafe steht, etwa die Ausnutzung einer Zwangslage bei Unter-16-Jährigen oder die Verleitung zu sexuellen Handlungen durch Entgelt bei Unter-18-Jährigen. Eine ungeprüfte Tilgung und damit eventuell automatische frühzeitige Rehabilitierung auch von Tätern, die sich etwa eines Kindesmissbrauchs oder einer Vergewaltigung schuldig gemacht haben, soll und darf es aus unserer Sicht nicht geben.“