„In einem Schreiben an Bundesminister Dieter Böhmdorfer hat die HOSI Wien heute die Freilassung aller noch wegen § 209 in Haft einsitzender Personen bis 31. Juli verlangt“, berichtet Obfrau Helga Pankratz. „Sollte am 1. August auch nur eine einzige Person noch wegen § 209 in einer Strafvollzugsanstalt gefangengehalten werden, so wird sich die HOSI Wien durch entsprechende Aktionen um Hilfe an die internationale Staatengemeinschaft und internationale Menschenrechtsorganisationen wenden.“
Homosexualität ist keine Geisteskrankheit
„Wir haben den Justizminister insbesondere auf jene unglaublichen Fälle hingewiesen, wo Menschen wegen § 209 in eine sogenannte Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden sind“, ergänzt Obmann Christian Högl. „Auch diese Personen sind unverzüglich freizulassen. Die Einweisung in eine solche Anstalt erfolgt auf unbestimmte Zeit, potentiell auch lebenslänglich. Eine Entlassung ist nur aufgrund eines Gutachtens über eine erfolgreiche Therapie möglich, was in Zusammenhang mit § 209 ja wohl nur die ‚Heilung‘ von der Homosexualität heißen kann. Ein möglicher Therapieerfolg wird üblicherweise nur einmal im Jahr durch ein neues Gutachten überprüft. Das bedeutet, daß sich die Anhaltung bei mangelndem Therapieerfolg um ein Jahr verlängert. Uns ist ein Fall bekannt, bei dem der Betreffende fünf Jahre wegen § 209 in einer solchen Anstalt angehalten wurde.“
„Auf Druck der HOSI Wien hat im September 1991 der damalige Gesundheitsminister Harald Ettl Weisung gegeben, Homosexualität aus dem österreichischen Diagnoseschlüssel zu entfernen bzw. diese Diagnose nicht mehr anzuwenden“, ergänzt Pankratz. „Homosexualität ist seither auch offiziell keine Krankheit mehr. 1993 hat auch die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität aus ihrem Krankheitenkatalog (ICD) gestrichen.“
Gulag-Fälle
„Es ist ein Justiz- und Psychiatrieskandal ersten Ranges, daß man trotzdem auch in den letzten Jahren noch Homosexuelle im Zuge von 209er-Verfahren in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen und dort versucht hat, ihre Homosexualität zu therapieren. Das ist Justiz- und Psychiatriemißbrauch, der eigentlich nur mehr mit sowjetischen Zuständen vergleichbar ist. Auch die HOSI Wien hatte bereits mit solchen Gulag-Fällen zu tun. Durch massive Einschüchterung eines Grazer Gutachters konnten wir etwa im Jänner 2001 die Freilassung eines Betroffenen erreichen“, erklärt HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler. „Und wir wissen, daß es auch heute noch solche Gulag-Fälle in österreichischen Strafanstalten gibt.“
Lückenlose Aufklärung des Psychiatriemißbrauchs
„Daß diese Menschen unverzüglich freigelassen werden müssen, ist klar“, meint Pankratz weiter, „aber damit ist die Sache nicht vom Tisch. Wir fordern die lückenlose Überprüfung sämtlicher derartiger Einweisungen aufgrund von §-209-Verfahren in der Vergangenheit und schonungslose Aufklärung darüber, wie es möglich war, daß selbst nach 1991 derartige Einweisungen passierten. Wir fordern die öffentliche Bekanntgabe der Namen der verantwortlichen GutachterInnen und entsprechende Konsequenzen, wie deren Ausschluß aus den Berufsverbänden und ihre Streichung aus der Sachverständigenliste. Das ist – neben der finanziellen Entschädigung – wohl das Mindeste, was den Opfern an Wiedergutmachung zuteil werden muß.“
Zur Frage der Rehabilitierung aller homosexuellen Opfer staatlicher Verfolgung im 20. Jahrhundert und bis heute hat die HOSI Wien auf ihrer diesjährigen Generalversammlung vergangenen März einen umfassenden Forderungskatalog verabschiedet. Siehe zu diesem Thema auch unsere Abteilung zum Kampf gegen § 209 in unserem Archiv.