„Wohl nicht zuletzt aufgrund der internationalen Berichterstattung und Proteste scheinen derzeit die Verschleppungen und die Verfolgung homosexueller Männer in Tschetschenien zwar zumindest vorübergehend aufgehört zu haben, aber dies kann sich natürlich jederzeit wieder verschärfen, sobald die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft für diese eklatanten Menschenrechtsverletzungen nachlässt. Die letztverantwortliche russische Regierung macht jedenfalls keinerlei Anstalten, diese Übergriffe zu untersuchen und als Unrecht anzuerkennen, die Täter zu bestrafen und den Opfern Wiedergutmachung und Rehabilitierung zuteilwerden zu lassen“, erklärt Lui Fidelsberger, Obfrau der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien.
„Da kaum zu erwarten ist, dass sich die Opfer ohne internationale Unterstützung wegen dieser Menschenrechtsverletzungen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg wehren können, fordern wir Außenminister Sebastian Kurz auf, dafür zu sorgen, dass die österreichische Regierung eine entsprechende Staatenbeschwerde gegen Russland gemäß Artikel 33 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beim EGMR einbringt und bei dieser Gelegenheit Entschädigungszahlungen für die Opfer erkämpft, die zum Teil dieser Verfolgung durch Flucht entrinnen konnten und jetzt gezwungen sind, sich in anderen Teilen Russlands oder sogar im Ausland eine neue Existenz aufzubauen.“
„Durch die Verschleppung, ungesetzliche Inhaftierung und Ermordung von homosexuellen Männern hat Russland hier in dutzenden Fällen gegen die Artikel 2, 3, 5 und 8 der EMRK verstoßen“, ergänzt HOSI-Wien-Obmann Christian Högl. „Besagte Vorfälle in Tschetschenien sind die schlimmsten staatlichen Übergriffe gegen eine gesellschaftliche Gruppe in Friedenszeiten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – die verschleppten und ermordeten Männer haben sich ja nichts zuschulden kommen lassen und auch gegen keine Gesetze verstoßen, sondern wurden allein wegen ihrer sexuellen Orientierung Opfer staatlicher Willkür, die diese in einigen Fällen sogar mit dem Leben bezahlen mussten. Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht ungesühnt bleiben, die russische Regierung muss dafür zur Verantwortung und Rechenschaft gezogen werden.“
„In unserem heutigen Schreiben haben wir Kurz auch aufgefordert, endlich auf unser erstes Schreiben in dieser Sache vom 3. April zu antworten“, so Fidelsberger abschließend. „Denn wir hätten gerne erfahren, welche Aktivitäten und Maßnahmen er bzw. das Außenministerium in dieser Angelegenheit gesetzt und welche Ergebnisse diese bisher gezeitigt haben. Zudem möchten wir wissen, ob die österreichische Botschaft in Moskau angewiesen wurde, gegebenenfalls unbürokratisch und rasch Visa an die Opfer der antihomosexuellen ‚Säuberungsaktionen‘ in Tschetschenien auszustellen, damit die Betroffenen nach Österreich ausreisen und hier um Asyl ansuchen können.“