„Die ‚offizielle‘ Bestätigung, dass der verstorbene FPÖ-Obmann Jörg Haider schwul war, durch den Wiener FPÖ-Landtagsabgeordneten Gerald Ebinger, ist zwar nett, aber interessiert zwei Jahre nach Haiders Tod wohl niemand wirklich mehr; noch dazu, wo spätestens durch Stefan Petzners Verhalten und Aussagen in den Wochen nach Haiders Tod dieser Umstand ohnehin für ganz Österreich offensichtlich wurde und er davor ohnehin fast zwei Jahrzehnte ein offenes Geheimnis war“, erklärt Christian Högl, Obmann der HOSI Wien. „Außerdem sind der Anlass und Ebingers Absicht mehr als fadenscheinig.“
Ebinger tätigte die Aussage „Wir sind die einzige Partei, die 17 Jahre von einem Schwulen geleitet wurde. Das hat jeder gewusst“ vorgestern im Wiener Wahlkampf auf einer Podiumsdiskussion der AGPRO vor vorwiegend homosexuellem Publikum, offensichtlich um schwule und lesbische Stimmen zu gewinnen. „Es stimmt: Es hat eh jeder gewusst, vor allem die FunktionärInnen in der eigenen Partei, aber sicherlich auch viele WählerInnen, insbesondere in Kärnten, und sie haben ihn trotzdem gewählt“, ergänzt HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler. „Deshalb ist es jetzt kompletter Unsinn zu sagen, die böse intolerante Gesellschaft sei schuld, dass Haider nicht offen schwul leben konnte. Haider war einfach zu feig und zu bequem dazu. Mag sein, dass er mit einem Coming-out auch WählerInnen vor den Kopf gestoßen und verloren hätte, aber die Zeit war auch in Österreich schon zu Haiders Lebzeiten reif für einen schwulen Parteiobmann, dafür müssen andere Parteien jetzt nicht erst kämpfen. Dass sich Haider und seine Partei für eine ‚Don’t ask, don’t tell‘-Politik entschieden haben, wurde von vielen politisch bewegten Lesben und Schwulen aber ohnehin begrüßt, denn die Vorstellung, dass ausgerechnet ein verabscheuungswürdiger Populist wie Haider der erste offen homosexuelle Politiker Österreichs gewesen wäre, ist wohl ziemlich unerträglich. Deshalb waren wir auch immer froh, dass weder die Outing-Versuche Elfriede Jelineks 1992 noch jene von Jochen Herdieckerhoff im Jahr 2000 nachhaltig gelungen sind.“
Homosexuellsein reicht nicht
„Gerade das Beispiel Jörg Haider zeigt anschaulich, dass es nicht relevant ist, ob ein/e Politiker/in offen homosexuell ist oder die eigene sexuelle Orientierung diskret lebt, sondern viel wichtiger ist, wofür er oder sie politisch steht und eintritt“, betont Högl. „Die Forderung, homosexuelle PolitikerInnen müssten unbedingt offen zu ihrer sexuellen Orientierung stehen, ist auch deshalb heute längst obsolet, da es für junge Lesben und Schwule ohnehin genug andere offen homosexuell lebende Rollenvorbilder aus anderen Bereichen des öffentlichen Lebens gibt. Wie bei Frauen in der Politik gilt auch hier: Schwulsein oder Lesbischsein ist nicht genug, es kommt auf die politische Ideologie an. Das spüren die WählerInnen aber ohnehin. Heute wählen Lesben und Schwule wohl kaum eine bestimmte Partei nur deshalb, weil sie eine offen lesbische Kandidatin oder einen offen schwulen Kandidaten aufstellt.“
„Relevant ist hingegen, ob ein Politiker, der selber homosexuell ist und dies nicht offen lebt, sich homophob äußert bzw. homophob agiert“, ergänzt Krickler. „Und das hat Haider sehr wohl getan. Er hat als Nationalratsabgeordneter gegen die Aufhebung menschenrechtswidriger anti-homosexueller Strafrechtsparagraphen gestimmt, und er hat seine Parteikollegen nicht zur Ordnung gerufen, als diese gegen Homosexuelle öffentlich gehetzt haben. Das ist Haider vorzuwerfen, aber nicht, dass er einen bestimmten Bereich seines Privatlebens nicht öffentlich gemacht hat.“
HINWEIS: Die seinerzeitigen Diskussionen um das Outing Jörg Haiders hat die HOSI Wien auf ihrem Website zusammengetragen: https://www.hosiwien.at/haiderouting
Das homophobe Sündenregister Haiders und der FPÖ (bis 2000) hat die HOSI Wien in einem Dossier zusammengestellt, das sie am 29. August 2000 in Heidelberg den drei von den EU-14 eingesetzten Weisen überreicht hat. Auch dieses Dossier steht auf dem HOSI-Wien-Website zum Download bereit: https://www.hosiwien.at/download/Dossier.pdf
Rückfragehinweis:
Kurt Krickler, Generalsekretär, Tel. 0664-5767466
Christian Högl, Obmann, Tel. 0699-118 11 038
Donnerstag, 23. September 2010 um 15:03 Uhr
Oder vielleicht noch besser: Sind Euch plötzlich die Trauben zu sauer, die Euch zu hoch hängen? Wer ist denn noch vor zwei Jahren durch die Szene gelaufen und wollte der erste offen schwule Nationalratsabgeordnete sein? HOSI-Obmann Christian Högl.
Nur weil die Grünen die einzige Partei sind, die bei den Wiener Landtagswahlen 2010 sowohl eine lesbische (13) als auch einen schwulen Kandidaten an wählbarer Stelle kandidierten, die SPÖ aber keinen, ist das plötzlich ganz unwichtig?
Kurt und Christian: Ihr seid in Eurer parteipolitischen Unabhängigkeit so unglaubwürdig, dass Ihr Euch schämen solltet!
Freitag, 8. Oktober 2010 um 00:53 Uhr
Lieber Erik!
Erstens: Die Feststellung, auf die Du Dich beziehst, steht ja wohl ganz eindeutig in Zusammenhang mit Jörg Haider (erster Absatz nach der Zwischenüberschrift) und hat mit der Kandidatur von Lesben und Schwulen auf der grünen Liste bei den Wiener Wahlen unmittelbar gar nichts zu tun.
Zweitens: Christian Högl hat im Nationalratswahlkampf 2008 einen Vorzugsstimmenwahlkampf geführt. Er hat auch damals nicht erwartet, daß er nun besonders viele Stimmen für sich (und die SPÖ) von Leuten bekommen wird, die gar keine SPÖ-WählerInnen sind, sondern sich in erster Linie an (potentielle) SPÖ-WählerInnen um ihre Vorzugsstimme für ihn gewandt. Er hat sich nie eingebildet, ausgewiesene und eingefleischte (homosexuelle) ÖVP- oder FPÖ-WählerInnen zur Stimmabgabe für die SPÖ zu bewegen, nur weil er als offen Schwuler für die SPÖ kandidierte. Er hat die Sache schon damals (im Gegensatz zu den Grünen) immer relativiert und in einen realistischen Kontext gestellt (vgl. etwa “Die Presse” vom 27. September 2008).
Drittens: Deine implizite Forderung, wir müßten als Personen parteipolitisch unabhängig sein, möchte ich auf das allerschärfste zurückweisen. Nur weil wir uns ehrenamtlich in der Lesben- und Schwulenbewegung engagieren, dürfen wir wohl auch allgemein politisch tätig sein und hoffentlich auch wählen gehen. Oder willst Du uns diese demokratische Grundrechte verbieten? Abgesehen davon, trifft es für mich zu: Ich bin parteipolitisch unabhängig, bin weder Mitglied einer Partei noch in einer aktiv. Aber warum muß/soll ich ein Hehl daraus machen, daß ich linker Wechselwähler bin? Die rechteste Partei, die ich jemals gewählt habe, waren die Grünen, aber mit zunehmendem Alter und wegen der immer bedenklicheren Entwicklungen in der Welt werde ich immer radikaler, für mich kommt daher nur mehr die KPÖ in Frage.
Kurt Krickler