Die Europäische Union wird Anfang Dezember einen Rahmenbeschluß über den sogenannten Europäischen Haftbefehl verabschieden. Dadurch werden die Mitgliedsstaaten ihre Strafgesetze gegenseitig praktisch uneingeschränkt anerkennen und einander bei deren Durchsetzung unterstützen.
Bisher haben die meisten Staaten keine Personen ausgeliefert, die aufgrund von Tatbeständen von anderen Staaten gesucht wurden, wenn diese Delikte im eigenen Land nicht strafbar waren. Der geplante Europäische Haftbefehl könnte daher bei 209er-Fällen problematisch werden.
Zwar sieht der Kommissionsvorschlag im Artikel 27 vor, daß jeder Mitgliedsstaat eine Liste von Handlungen erstellen kann, für die er grundsätzlich die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnt (sog. „Negativliste“). Strafbare Handlungen, die im Laufe der Geschichte entkriminalisiert wurden (Abtreibung, Drogenkonsum, Euthanasie usw.), wären typische Beispiele für die Verweigerung der Unterstützung durch bestimmte Staaten. Allerdings müssen diese Ausnahmen im Amtsblatt der EU vorher veröffentlicht werden.
Der europäische Lesben- und Schwulenverband ILGA-Europa, ein Zusammenschluß von rund 130 Lesben- und Schwulenorganisationen, hat nun den zuständigen EU-Kommissar António Vitorino und den derzeitigen belgischen EU-Ratsvorsitz aufgefordert, dafür zu sorgen, daß im geplanten Rahmenbeschluß von vornherein die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bei strafrechtlichen Sonderbestimmungen gegen Homosexuelle ausgenommen wird. Entsprechende Schreiben wurden auch an Abgeordnete des Europäischen Parlaments gerichtet.
„Strafrechtliche Sonderbestimmungen stellen gemäß der jüngsten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und auch der früheren Europäischen Menschenrechtskommission eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention dar“, erklärt Kurt Krickler, Vorstandsvorsitzender der ILGA-Europa und Generalsekretär der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien. „Wir sind zwar überzeugt davon, daß etliche Mitgliedsstaaten homosexuelle Sonderbestimmungen von sich aus auf die Negativliste ihrer Ausnahmen setzen und in diesen Fällen eine Zusammenarbeit verweigern werden, aber diese Vorgangsweise ist in unseren Augen nicht angemessen. Im Gegensatz zu den genannten Beispielen handelt es sich bei strafrechtlichen Sonderbestimmungen gegen Homosexuelle eben um Menschenrechtsverletzungen. Es wäre in der Tat kurios, von diesen Mitgliedsstaaten zu verlangen, sich erst durch dieses Opt-out-Verfahren von der Verpflichtung zu befreien, einen anderen Mitgliedsstaat bei der Begehung von Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen.“
„Sollten diskriminierende Gesetze gegen Homosexuelle nicht von vornherein vom Europäischen Haftbefehl ausgenommen werden, wird ILGA-Europa alle Regierungen auffordern, diese in ihre Negativliste aufzunehmen. Neben Österreich haben nur noch Griechenland und Portugal strafrechtliche Sonderbestimmungen gegen Homosexuelle“, erklärt Krickler weiter.