Justizminister Dieter Böhmdorfer ist bis heute nicht bereit gewesen, der Forderung nach einem Verurteilungsmoratorium in Sachen § 209 StGB nachzukommen und damit weitere Menschenrechtsverletzungen in Österreich zu unterbinden. Die HOSI Wien hatte vor einem Monat ein Aussetzen aller Verfahren nach § 209 gefordert, nachdem der VfGH entschieden hat, seine Entscheidung in der Beschwerdesache gegen § 209 weiter hinauszuzögern.
Lassen uns keinen Sand in die Augen streuen
„Wir finden diese Reaktion des Ministers äußerst bedauerlich“, erklärt dazu HOSI-Wien-Obfrau Helga Pankratz, „weil dadurch weiterhin Menschen nach diesem menschenrechtswidrigen Paragraphen verurteilt werden, obwohl längst klar ist, daß diese Sonderbestimmung nicht länger haltbar ist. Böhmdorfers Verhalten illustriert aber auch anschaulich die Einstellung der FPÖ zu dieser Frage, wenn es um konkrete Taten geht. Es konterkariert sämtliche Aussagen anderer FPÖ-PolitikerInnen, die auch gegenüber Lesben- und Schwulenverbänden gern den Eindruck erwecken, als wäre die FPÖ in dieser Frage aufgeschlossen. Die HOSI Wien hat solche Aussagen immer schon mit großer Skepsis betrachtet, was sich angesichts Böhmdorfers Verhalten als umso mehr berechtigt erweist.“
OLG Wien: Skandalöse Begründung
„Wie dringend notwendig ein solches Moratorium ist, zeigt auch die jüngste Anwendung des § 209 durch das Oberlandesgericht Wien vergangene Woche, das diese damit begründete, die Mehrheit der Österreicher wolle § 209, damit müsse man sich abfinden“, ergänzt HOSI-Wien-Obmann Christian Högl. „Wir sind entsetzt über eine derartig Auffassung von Menschenrechten – immerhin eines Oberlandesgerichts. Bekanntlich sind Menschenrechte unteilbar und unveräußerlich, also auch nicht irgendwelchen Mehrheitsansichten der Bevölkerung unterworfen, und seien sie noch so sorgfältig demoskopisch erhoben und empirisch gesichert, was im übrigen bei der Behauptung des OLG nicht einmal annähernd der Fall ist. Gerade diese Unabhängigkeit vom sogenannten ‚gesunden Volksempfinden‘ ist das genuine Wesen der Menschenrechte. Die Menschenrechtskonventionen der UNO und des Europarats waren eine unmittelbare Reaktion auf die Nazi-Barbarei: Damals hatte sich nämlich auch eine Mehrheit der – deutschen und österreichischen – Bevölkerung gegen jüdische MitbürgerInnen gestellt und ihnen in letzter Konsequenz sogar das Recht auf Leben abgesprochen.“
„Es ist bestürzend und unfaßbar, daß ein Richter an einem österreichischen Oberlandesgericht ein derartiges Rechtsverständnis zur Schau stellt“, ergänzt Pankratz. „Er zieht es offenkundig vor, seine Rechtsauffassung mit einem willkürlich als solchem postulierten und überdies von ihm anscheinend als archaische Rachegelüste und antihomosexuelle Ressentiments interpretierten ‚Volkswillen‘ zu begründen, anstatt sich bei der Rechtsprechung an europäischen Rechtsstandards und den internationalen Menschenrechten zu orientieren.“
HOSI Wien empfiehlt: Beschuldigte müssen selber für Verzögerungen sorgen
Da also Böhmdorfer nicht einmal bereit ist, mittels Erlasses alle 209er-Verfahren berichtspflichtig zu machen, wodurch allein schon ausreichend Verzögerung eintreten würde, bis die Entscheidung Straßburgs bzw. des VfGH gefallen ist, empfiehlt die HOSI Wien allen Betroffenen dringend, selber dafür zu sorgen, ihre Verfahren so lange zu verzögern, bis der Paragraph für konventions- bzw. verfassungswidrig erklärt wird.
Betroffene sollten ihr Verfahren in die Länge ziehen, indem sie z. B. selber Anträge auf Überprüfung der gegen sie erhobenen Anklage an das Ministerium und die Oberstaatsanwaltschaft richten und sich dabei auf die anhängige Beschwerde gegen § 209 beim VfGH berufen. Versierte Anwälte können dabei sicherlich behilflich sein. Auch krankheitsbedingtes Nichterscheinen bei Gericht kann Verfahren verzögern.
Verschwendung von Steuergeldern
Nicht nur die Fortführung anhängiger 209er-Verfahren und jedes neue Verfahren binden die Ressourcen der ohnehin heillos überlasteten Gerichte, sondern werden auch die SteuerzahlerInnen teuer zu stehen kommen. Denn die Verurteilten werden in der Regel routinemäßig nach Straßburg gehen und schließlich Recht bekommen und dann Entschädigung von der Republik Österreich erhalten müssen. Diese Kosten könnte sich die Republik sparen.
Schwedische Botschaft statt schwedische Gardinen
Betroffenen, die jetzt noch Haftstrafen anzutreten haben, empfiehlt die HOSI Wien, lieber in der schwedischen Botschaft Zuflucht zu suchen und um politisches Asyl anzusuchen – die HOSI Wien und ihre schwedische Schwesterorganisation RFSL würden dabei unterstützend zur Seite stehen.
Selbstbezichtigungsaktion
Im übrigen weist die HOSI Wien auf ihre Selbstbezichtigungsaktion „Auch ich habe gegen § 209 StGB verstoßen!“ hin. Bis heute sind die Selbstbezichtiger, darunter Hermes Phettberg, vom Arm des Gesetzes unbehelligt geblieben. Näheres zur Aktion auf dem Website der HOSI Wien.