Frau
Abgeordnete zum Nationalrat
Dr.in Pamela Rendi-Wagner
Betr.: Offener Brief zum Coming Out Day
Sehr geehrte Frau Abgeordnete zum Nationalrat Dr.in Pamela Rendi-Wagner!
Sehr geehrte Mitglieder des Bundesparteivorstands der SPÖ!
Zum heutigen Coming Out Day schreiben wir Ihnen, um Sie an das Coming-out eines Ihrer Abgeordneten zum Nationalrat zu erinnern: Als Mario Lindner im Jahr seiner Bundesratspräsidentschaft sein Coming-out auf der von uns organisierten Regenbogenparade hatte, hat er damit Mut bewiesen. Er wurde damit zum ersten offen schwul lebende Parlamentarier der SPÖ und machte dadurch Tausenden Menschen in ganz Österreich Hoffnung, besonders auf dem Land.
Und er bewies, wie ernsthaft sein Engagement ist: Seit er 2017 in den Nationalrat einzog, übernahm er Verantwortung für die Community der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, transgender, intergeschlechtlichen und queeren (kurz: LGBTIQ) Menschen in Österreich. Er war ein glaubwürdiger Ansprechpartner im Nationalrat und hat als starker Bündnispartner mit den Organisationen der Community auf Augenhöhe zusammengearbeitet, wie es kein anderer in diesen Jahren konnte. Er hat, wie Ihnen sicherlich bewusst ist, entscheidend an der Öffnung der Ehe für binationale Paare mitgewirkt. Das Verbot von sogenannten „Konversionstherapien“ an Minderjährigen brachte er im Nationalrat ein. Und nicht zuletzt war Mario Lindner in der Community präsent, hat diskutiert, sich die Bedürfnisse und Probleme angehört und Politik für viele überhaupt erst greifbar gemacht. Er genießt Respekt wie wenige andere Politiker*innen, weswegen die SPÖ ja auch im vergangenen Nationalratswahlkampf mit ihm in der LGBTIQ-Community geworben hat.
Umso herber ist die Enttäuschung, dass er dem kommenden Nationalrat nicht angehören soll. Uns ist bewusst, dass Sie weniger Mandate als zuvor haben – wenn aber die Grünen und NEOS bei deutlich weniger Mandaten jeweils zwei Abgeordnete aus der LGBTIQ-Community haben und selbst die ÖVP einen offen schwul lebenden Abgeordneten hat, ist es absolut unverständlich, dass die SPÖ es offenbar nicht schafft, knapp 10% der Bevölkerung überhaupt zu repräsentieren. Die Frage der Teilhabe von gesellschaftlichen Gruppen und deren Vertretung im Parlament ist eine grundsätzliche, und die Erfahrung zeigt, dass es neben zivilgesellschaftlichen Organisationen auch LGBTIQ-Politiker*innen braucht, die Missstände offen, konsequent, nachhaltig und nicht zuletzt persönlich benennen, damit diese Themen nicht untergehen. LGBTIQ-Themen sind darüber hinaus Menschenrechtsthemen, die nicht nur einer kleinen Gruppe oder einer „Minderheit“ zugutekommen, sondern deren Verwirklichung unsere gesamte Gesellschaft besser machen. Und gerade für LGBTIQ-Jugendliche, die im Zuge ihres Coming-outs und ihrer Identitätsfindung mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sind, braucht es Vorbilder und Repräsentation in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Sonntagsreden auf der EuroPride Vienna und Fotos auf der Regenbogenparade sind zu wenig, PR und Wahlkampf können andere auch. Wenn die SPÖ in Österreich eine ernsthafte Bündnispartnerin der LGBTIQ-Community sein will, dann darf sie einen um deren Anliegen so hochverdienten Abgeordneten nicht fallen lassen. Österreichs Lesben, Schwule, Bisexuelle, transgender, intergeschlechtliche und queere Menschen, aber auch unsere FreundInnen und Verwandten werden die Sozialdemokratie an ihren Taten messen. Wenn die SPÖ meint, keine*n glaubwürdige*n LGBTIQ-Abgeordnete*n zu brauchen, werden wir das ebenso genau wahrnehmen, wie wir Mario Lindners Arbeit beobachtet und zu schätzen gewusst haben.
Wenn die SPÖ ihren Grundwert der Gleichheit und die Solidarität mit der LGBTIQ-Community ernst meint, dann erwarten wir, dass sie auch eine*n Ansprechpartner*in aus der Community im Nationalrat hat!
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien