Gestern haben diverse Medienaussendungen aufgrund unrichtiger Interpretationen der – bereits am 15. Dezember 2005 erfolgten – parlamentarischen Anfragebeantwortungen betreffend Anerkennung homosexueller NS-Opfer durch Sozialministerin Ursula Haubner und Justizministerin Karin Gastinger Verwirrung gestiftet. Die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien erlaubt sich daher, Folgendes richtig- bzw. klarzustellen:
„Die beiden Ministerinnen haben mit ihrer Feststellung, beim Totalverbot der weiblichen und männlichen Homosexualität habe es sich um kein typisch nationalsozialistisches Unrecht gehandelt, natürlich völlig Recht. Denn der betreffende Paragraph 129 I b StG hat ja sowohl vor 1938 in der Monarchie und der Ersten Republik als auch nach 1945 in der Zweiten Republik bis 1971 in derselben Fassung gegolten“, erklärt HOSI-Wien-Obfrau Bettina Nemeth. „Eine gerichtliche Verurteilung nach § 129 während der Zeit des Anschlusses allein stellt daher noch kein typisches NS-Unrecht dar.“
„Erst darüber hinausgehende Verfolgungsmaßnahmen, wie Deportation in ein Konzentrationslager oder Zwangskastration oder Zwangssterilisation stellen typisch nationalsozialistisches Unrecht dar“, ergänzt HOSI-Wien-Obmann Christian Högl. Und das bestätigt ja auch Justizministerin Gastinger in ihrer Anfragebeantwortung, in der es heißt: „Folgen dieser Art sind vielmehr generell als nationalsozialistisches Unrecht (…) zu werten.“
„Und die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten Frauen und Männer sind durch das Anerkennungsgesetz 2005 jetzt auch ausdrücklich als Opfer dieser typischen NS-Verfolgungsmaßnahmen anerkannt worden und haben Anspruch auf Entschädigung nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG)“, erklärt Högl weiter (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 7. Juli 2005).
KZ-Zeit als Ersatzzeit bereits angerechnet
„Es stimmt auch nicht, wie gestern ebenfalls in verschiedenen Aussendungen behauptet wurde, dass vom NS-Regime wegen ihrer Homosexualität Verfolgten ihre KZ-Haftzeit nicht als Ersatzzeit auf die Pension angerechnet werden kann“, betont Nemeth ferner. „Bereits 1992 wurde einem Rosa-Winkel-Häftling aus Wien die sechs Jahre, die er nach Verbüßung der von einem Gericht verhängten Gefängnisstrafe in KZ-Lagern inhaftiert war, dank der Unterstützung der Volksanwaltschaft und nicht zuletzt des politischen Drucks der HOSI Wien als Ersatzzeit auf die Pension angerechnet. Nach der expliziten Aufnahme von ‚sexueller Orientierung‘ als Verfolgungsgrund ins OFG im Vorjahr wäre es unvorstellbar, dass einem bzw. einer Betroffenen dies heute verwehrt würde.“
„Das Problem ist heute vielmehr“, so Högl weiter, „dass wohl kaum jemand mehr lebt, der einen Antrag stellen könnte. Leider war das gesellschaftliche Klima nach dem Krieg – nicht zuletzt durch den Fortbestand des § 129 – weiterhin so lesben- und schwulenfeindlich, dass die Betroffenen alles andere als ermuntert wurden, entsprechende Anträge zu stellen. Und bis in die 1990er Jahre wurden solche Anträge ja tatsächlich auch abgelehnt, weil die Politik damals noch eine sehr restriktive Haltung einnahm: Die typisch nationalsozialistischen Folgen einer Verurteilung nach § 129 hätten letztlich auf einem Tatbestand beruht, der auch in der Zweiten Republik noch bis 1971 strafrechtlich verfolgt wurde, und deshalb nicht wiedergutgemacht werden müssen! Der zynische Plan der Regierenden, die Sache möglichst so lange zu verzögern, bis alle Opfer verstorben sind, ist hier leider aufgegangen. Das ist aber auch der Grund, warum die HOSI Wien bereits 2002 gefordert hat, einen entsprechenden Anteil an Entschädigungszahlungen an die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung zu entrichten, damit diese die Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung erforschen bzw. Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung in der breiten Bevölkerung setzen kann.“
Generelle Aufhebung aller Urteile
„Wir hielten es für keine gute Idee“, so Nemeth weiter, „nur die während des NS-Regimes nach § 129 Verurteilten für ihre Gefängnishaft entschädigen und nur diese Urteile aufheben zu wollen. Wir fordern vielmehr eine Entschuldigung der Republik Österreich für die staatliche und gesetzliche Verfolgung von Homosexuellen im gesamten 20. Jahrhundert und in der Folge eine völlige Rehabilitierung und auch eine finanzielle Entschädigung aller Opfer dieser staatlichen Verfolgung, also auch derjenigen, die bis 1971 aufgrund des Totalverbots oder nach dem bis 2002 geltenden Paragraphen 209 verurteilt worden sind, sofern es sich um keine sexuellen Handlungen mit Unter-14-Jährigen gehandelt hat.“ (Siehe dazu auch unsere Medienaussendung vom 21. September 2005 sowie die von der HOSI Wien auf ihrer Generalversammlung 2002 verabschiedete Resolution mit detaillierten Forderungen zu einer solchen umfassenden Rehabilitierung.)
„Wir halten überhaupt nichts davon“, so Högl abschließend, „die typisch nationalsozialistische Verfolgung, wie KZ-Haft und andere nicht rechtsstaatliche Verfolgungsmaßnahmen in einen Topf zu werfen mit ‚gewöhnlichen‘ Verurteilungen gemäß § 129. Zwischen KZ-Haft und Gefängnisstrafe ist unbedingt zu differenzieren. Homosexuelle KZ-Opfer müssen daher für ihre KZ-Haft gesondert anerkannt und entschädigt werden, nämlich nach dem Opferfürsorgegesetz.“